650
Um 650 Obergiesing * Der Name der Giesinger Kirche - „Heilig Kreuz“ - weist auf einen Zusammenhang mit der irofränkischen Mission hin, die in Baiern seinerzeit mit dem Wirken des heiligen Emmeram einsetzt. Die damaligen Missionare errichten als Siegeszeichen über das Heidentum ein Kreuz auf. So war es vielleicht im 8. Jahrhundert auch in Giesing. |
790
14. Juli 790 Giesing * „Der Priester Ihcho und sein Neffe Kerolt schenken ihr eigenes Erbgut an dem Ort Kyesinga und an einem anderen Ort, der Peralohc genannt wird, an die Freisinger Kirche. So tritt Giesing schriftlich in die Geschichte ein. Giesing ist aber wesentlich älter. Die Anfänge des Ur-Giesings liegen freilich im Dunkeln, doch Ausgrabungen auf dem Gelände der Icho-Schule brachten einen der größten Bajuwarenfriedhöfe Südbayerns zu Tage. |
1315
22. Dezember 1315 Freising * Im Auftrag des Freisinger Bischofs Konrad III. dem Sendlinger wird eine Diözesan-Beschreibung gefertigt, die sogenannte Konradinische Matrikel. Sie beinhaltet sämtliche fürstbischöfliche Besitzungen und zählt gleichzeitig alle Einnahmen auf. Daneben enthält sie eine präzise Diözesanbeschreibung, die alle Kirchen, Kapellen, Klöster und Friedhöfe aufführt.
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1318
1318 Portugal * In Portugal werden die „Tempel-Ritter“ durch einen Untersuchungsausschuss von jedem Verdacht freigesprochen. Sie ändern ihren Ordensnamen in „Christusorden“. Dieser widmet sich in der Folgezeit der Seefahrt und hat so berühmte Mitglieder wie Vasco da Gama und Heinrich den Seefahrer. |
1371
18. April 1371<p><strong><em>München</em></strong> * Der Münchner Rat setzt die Bürgerrechtsgebühr auf fünf Pfund fest und damit in eine - für Arbeiter, Taglöhner, Kleinhandwerker, Dienstboten und Knechte, Mägde und Handelsdiener - unerreichbare Höhe. </p> <p>Um das Gemeinwesen und damit das Stadtsäckel durch den Zuzug unvermögender Personen nicht übermäßig zu belasten, werden besitz- und gewerbslose Zuwanderer in der jungen, aufstrebenden Stadt schon ziemlich früh zu <em>„unwillkommenen Gästen“ </em>erklärt. Der Rat der Stadt will nicht Armut, sondern leistungsfähige und finanzkräftige Menschen einbürgern. Umgekehrt müssen die Aufgenommen mindestens zehn Jahre in der Stadt bleiben, sonst haben sie mit einer Strafsteuer von 31 Pfund zu rechnen. </p> |
1479
19. März 1479<p><strong><em>Rom-Vatikan</em></strong> * Josef ist ein später Heiliger. Erst Papst Sixtus IV. führt das Fest des <em>„Hl. Joseph“</em> ein.</p> |
1538
1538 Obergiesing * Zur „Hauptmannschaft Obergiesing“ gehören Haidhausen, die Au, Niedergiesing, Putzbrunn, Höhenkirchen, Bogenhausen und Obergiesing. |
1571
1571 München * München war schon immer reich an Hunden. Alleine zur herzoglichen Hofjagd gehören etwa 220 Hunde. |
1612
Anno 1612 Au - Haidhausen - Untergiesing * Ein eigenständiges „Gericht ob der Au negst München“ wird eingerichtet. Es ist allerdings kein selbstständiges „Landgericht“, sondern ein „Niedergericht“, deren „hochgerichtlichen Funktionen“ auch weiterhin vom „Landrichter in Wolfratshausen“ wahrgenommen werden. Das „Gericht ob der Au“ ist also letztlich nichts anderes als eine „Hofmark“ unter der „Gerichtsbarkeit“ des „Hofoberrichteramtes“. Haidhausen, die Au und Niedergiesing scheiden deshalb aus der „Hauptmannschaft Obergiesing“ aus. |
1621
1621 Wien * Kaiser Ferdinand II. erklärt den „Josephstag“ zum Feiertag und gibt damit den Auftakt für den neuen Heiligenkult. |
1628
3. Juni 1628 Au - Bogenhausen * Die Pfarrei Neudeck wird von der Pfarrei Bogenhausen abgetrennt. Die Carl-Borromäus-Kirche wird die Pfarrkirche der Au. |
1630
Um 1630 München * Unter Kurfürst Maximilian I. werden eigene „Hundefänger“ und „Hundeschlächter“ besoldet, deren Aufgabe es ist, streundende Hunde einzufangen und zu erschlagen. Dies geschieht auch aus Angst vor der damals häufig auftretenden Tollwut. |
1636
1636 Obergiesing * Auf dem heutigen Standort der „Heilig-Kreuz-Kirche“ befindet sich ein Friedhof für die Toten der in diesem Jahr grassierenden „Pest“. |
1640
1640 Obergiesing * Der „Schweizer Wirt“ an der Tegernseer-Land-Straße wird erwähnt. |
1664
19. März 1664 München-Kreuzviertel * Kurfürst Ferdinand Maria erklärt den „Josephstag“ zum Feiertag. Nach der Heiligenlegende arbeitet Joseph als Zimmermann und verlobt sich als achtzigjähriger Witwer mit der zwölfjährigen Maria. Die Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelte Wirtschaftsideologie des Merkantilismus besagt, dass die Anzahl der Bevölkerung die Wirtschaftskraft eines Staates bestimmt. Um den Geburtenzuwachs zu erhöhen, müssen die Herrscher das eheliche Leben fördern. Als Vorbild des „Hausvaters“ dient ihnen dafür der heilige Joseph. Demzufolge wird aus dem achtzigjährigen Greis ein Mann mittleren Alters mit christusähnlichen Gesichtszügen. Joseph wird aber nicht nur zum Patron der Ehepaare und Familien, sondern auch der der Arbeiter und Handwerker. |
1713
13. August 1713 Obergiesing * Obergiesing und die Lohe werden dem Gericht ob der Au negst München zugeschlagen. Das geschieht auch, um die dort „eindringenden Fremden und Bettelleut“ besser überwachen zu können. |
1733
11. Februar 1733 München * Das Einfangen streunender Hunde wird angeordnet. Metzger und Köche werden aufgefordert, ihre Hunde an Stricken zu führen und nicht frei herumlaufen zu lassen. |
1735
22. Oktober 1735 München * Der Wasenmeister von Neumarkt hält sich 19 Tage in München auf. Er fängt und erschlägt 115 herrenlose und 8 tollwütige Hunde. |
1737
19. Oktober 1737 München * 150 herrenlose und 13 tollwütige Hunde werden gefangen und erschlagen. |
1740
22. Oktober 1740 München * 190 herrenlose und 13 tollwütige Hunde werden in München gefangen und erschlagen. |
1751
12. Februar 1751 München * Wieder ist der Hundefänger auf der Jagd nach streunenden Hunden. |
1762
1. Februar 1762 München * Nach einer kurfürstlichen Verordnung werden alle Hunde, die man herrenlos auf der Gasse antrifft, vom „Schinder“ eingefangen und abgestochen. |
1778
31. Oktober 1778 München * Wieder kommt ein Trupp Hundefänger in die Stadt. |
1782
10. April 1782<p><strong><em>München-Graggenau</em></strong> * In München lässt sich ein Hundemarkt auf dem heutigen Marienplatz nachweisen. Er findet Sonn- und Feiertags zwischen zehn und zwölf Uhr statt. Der private Hundehandel wird verboten. </p> |
18. Mai 1782 München-Graggenau * Laut einer Verordnung dürfen Hunde nicht in den Hofgarten mitgenommen werden. |
23. Oktober 1782 München * Die Hundefänger erschlagen 83 streunende Hunde in München. |
1783
1783 München * Der „Hundemarkt“ wird von der „Schranne“ auf den „Viehmarkt“ an der Herrenstraße verlegt. |
1784
28. Januar 1784 München * Ein tollwütiger Hund entkommt und verletzt dreizehn Personen. Daraufhin werden 250 Hunde erschossen. Laut einer Verordnung werden alle frei auf der Gasse herumlaufenden Hunde ohne Rücksicht erschossen. Das Verbot gilt zunächst bis 9. Februar. |
26. März 1784<p><strong><em>München</em></strong> * Der Stadtrat beauftragt den Wasenmeister Adam Kuisl mit einer heiklen Mission. Er soll den Unfug abstellen, dass die Metzger ihre Hunde in den Fleischbänken das warme Blut trinken lassen. </p> |
April 1784 Geldern * Die dreizehn Münchner, die Ende Januar von dem tollwütigen Hund gebissen worden sind, werden nach „St. Hubert“ im österreichischen Geldern - „im Ardenner Wald“ - geschickt. Dort wird ihnen zur Heilung die Stola des heiligen Hubertus aufgelegt oder ein Faden aus der Stola des Heiligen in die Kopfhaut einnäht. |
1795
9. März 1795 München * Es ergeht ein wiederholtes Verbot, zur Mitnahme von Hunden in die Kirche. |
1798
27. Dezember 1798 München * In einer Polizei-Erinnerung wird erneut verboten, Hunde in die Kirche mitzubringen. Begründet wird das Verbot mit der „schuldigen Ehrerbietung“ in den „Gott geheiligten Häusern“. |
1799
5. Oktober 1799 München * Kurfürst Max IV. Joseph genehmigt die Einführung einer Hundesteuer und der Hundemarke für „in hiesiger Haupt- und Residenzstadt München ohne Noth und blos zur Üppigkeit gehaltene Hunde“. Sie beträgt jährlich 2 Gulden. Bei Zuwiderhandlung ist eine Strafe in Höhe von 5 Gulden fällig. |
1800
10. November 1800 Amberg * In der Amberger Verordnung schreibt Kurfürst Max IV. Joseph, dass die Meinung,
Allerdings veröffentlicht er die Verordnung nicht in der üblichen Art, sodass der Magistrat der Haupt- und Residenzstadt dem Pfälzer Weinwirt Johann Balthasar Michel aus Mannheim das Münchner Bürgerrecht verweigert und so die Übernahme der Weingastwirtsgerechtsame der Eheleute Rasp verhindert. |
1801
1801 Schliersee * Therese Feldmüller, geborene Schlutt, kommt in Schliersee zur Welt. Ihr Vater ist der Wirt und Koch Andreas Schlutt aus Schliersee, ihre Mutter Anna stammt aus Zolling bei Freising. |
29. Juli 1801 München - Mannheim * Verärgert und sehr deutlich im Ton schreibt Kurfürst Max IV. Joseph nach der Ablehnung des Münchner Bürgerrechts an den Pfälzer Weinwirt Johann Balthasar Michel aus Mannheim dem Stadtrat: „Nach reifer Überlegung und mit der Gewißheit, daß das Recht auf meiner Seite ist, befehle ich hiermit dem meinen Stadtmagistrat, spätestens morgen Abends 6 Uhr, dem Handelsmann Michel von Mannheim, das Bürgerrecht zu ertheilen, widrigenfalls ich mich genöthigt sehen würde, die strengsten Mittel zu ergreifen. |
30. Juli 1801 München - Mannheim * Zähneknirschend wird der Kaufmann Johann Baltasar Michel in die Münchner Bürgerschaft „gnädigst großgünstig an- und aufgenommen“. Gleichzeitig gibt der Magistrat der Stadt seine Zustimmung zum geplanten Kauf der Rasp’schen Gastwirtsgerechtsame an Johann B. Michel. Die zu entrichtende Aufnahmegebühr ist mit 470 Gulden allerdings deutlich überhöht. |
1802
17. März 1802<p><strong><em>München - München-Lehel - Au</em></strong> * Die Polizeidirektion wird mit der Gründung einer Einrichtung beauftragt, die dann als Kleinkinderbewahranstalt und heute - in der Weiterentwicklung - als Kindergarten oder Kinderhort bezeichnet wird. </p> <p>Im Focus stehen <em>„unbemittelte Eltern, die sich außer Haus begeben müssen, um sich vom täglichen Handlohn zu ernähren“</em>. Denn diese <em>„müssen häufig ihre kleinen Kinder einsperren oder unbesorgten Nachbarn anvertrauen, sie auch gar frei herumlaufen lassen, wodurch Unglücksfälle entstehen und die sittliche Erziehung benachteiligt wird“</em>. </p> <p>Eine solche Einrichtung soll in der Stadt und im Lehel eingerichtet werden. Auch das Gericht ob der Au und das Hofmarkgericht Haidhausen können Vorschläge einreichen. </p> |
1803
10. Januar 1803 München-Kreuzviertel * Das Religionsedikt bringt die Gleichberechtigung von Katholiken, Lutheraner und Reformierten. Aus Anlass der Aufnahme fränkischer und schwäbischer Gebiete in den immer größer werdenden baierischen Staat kommt es zu nachstehenden Bestimmungen: „Bei künftiger Besetzung der Staatsämter werden Wir nur auf die Würdigsten, ohne Unterschied der im deutschen Reiche eingeführten drei christlichen Religionen [gemeint sind die Katholiken, Lutheraner und Reformierten] den landesväterlichen Bedacht nehmen. Keinem unserer Untertanen, von welcher Konfession er sei, soll je etwas zugemutet werden dürfen, welches seiner Religions- oder Gewissensfreiheit entgegen wäre." Doch der Mann, der die positive Entwicklung der evangelischen Kirche in Bayern bremsen wird, steht in der Person des Kronprinzen Ludwig I. schon bereit. |
5. September 1803 Au * Das Landgericht München bezieht die Räume im ehemaligen Kloster Lilienberg. Es umfasst neben den Orten des Gerichts ob der Au das Amt Perlach vom Landgericht Wolfratshausen, das Gebiet Neuhausen vom Landgericht Dachau, die Gebiete Gauting und Germering aus dem Landgericht Starnberg sowie Fröttmaning und Garching aus dem Landgericht Kranzberg. Dazu die Orte Ismaning, Ober- und Unterföhring, Daglfing und Englschalking aus dem kurz zuvor staatlich eigenständigen Fürstbistum Freising. |
1815
28. Juni 1815 München-Graggenau * Andreas und Anna Schlutt, die Eltern der Therese Feldmüller, sind zwischen 28. Juni 1815 und 20. Dezember 1836 Inhaber des Bachlbräu-Anwesens im Tal Mariae in München, das später wegen der geplanten Verbreiterung der Maderbräugasse verkauft und abgerissen wird. Andreas Schlutt ist auch als Makler und Grundstücksspekulant tätig: So kauft er die Immobilie Priel 1, ein Ökonomieanwesen zwischen Bogenhausen und Oberföhring mit 76 Tagwerk. |
1821
1821 München * Wegen Überhandnehmens der herrenlosen Hunde führt man die Tragepflicht für ein Halsband und einen Maulkorb ein. Die „Maulkorbverordnung“ verursacht einen drastischen Rückgang der Hunde in München. |
1822
1822 Untergiesing * Die „bürgerliche Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au“ entschließt sich, nachdem sie jahrelang dem Geschehen in der „Mayer'schen Lederfabrik“ tatenlos und voller Neid zugesehen hat, zu einem Protest bei „allerhöchster Stelle“ - vermutlich dem „Königlichen Ministerium des Inneren“ - gegen die „gewissenlosen Gewerbebeeinträchtigungen, welche wir von den hiesig- und umliegenden Lederfabrikanten und Israeliten durch die widerrechtliche Anmaßung der Selbstfabrikation ihrer in Accord übernommenen Militärlieferungen viele Jahre hindurch sehr empfindlich zu erdulden hatten“. In der Folge fordert die Behörde den „Lederfabrikanten“ auf, künftige Militäraufträge bei den ansässigen Schuhmachermeistern fertigen zu lassen. Dem geschäftstüchtigen Fabrikbesitzer Ignaz Mayer gelingt es nämlich, den Schwabinger Schumacher Hanrieder davon zu überzeugen, dass er seine Werkstatt mit „Sack und Pack“ sowie mit der Genehmigung der zuständigen Behörden in die „Untergiesinger Lederfabrik“ verlegt. Der „Schuhmacherzunft“ bleibt nur mehr das Beschreiten des Protestwegs. Doch die „Regierung des Isarkreises“ hebt das Verbot umgehend wieder auf. Es war das „Königliche Handelsministerium“, das sich in den Vorgang um die umstrittene Konzession einmischte und die Entscheidung zugunsten des „Hoflieferanten“ beeinflusste. Wenn schon nicht das Einzelmitglied, so hätte doch die „Schuhmacherzunft“ den Einfluss ihres Kontrahenten und damit die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkennen müssen. Immerhin ist Ignaz Mayer nicht nur der Schwiegersohn des dem bayerischen Königs als millionenschweren Kreditgebers unentbehrlich gewordenen Leonhard von Eichthal, sondern seit dem Jahr 1809 auch der Schwiegervater von Simon Freiherr von Eichthal, der bei der Gründung der „Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank“ eine zentrale Rolle spielte. Der „Hofbankier“ organisiert nicht nur die neue Kreditbank, sondern stellte auch dem späteren König Ludwig I. Mittel für seine Kunsteinkäufe zur Verfügung. |
1828
1828 Obergiesing * Mit Adrian Dick kommt die erste protestantische Familie nach Giesing. Sie kommen aus der Rheinpfalz und schenken in seiner Gaststätte „Zum Weinbauern“ ihren Rebensaft aus. |
1830
1830 Indien - Europa * Die „Cholera“, die lange Zeit endemisch in Indien beheimatet war, erreicht - durch intensiven Handel, Reiseverkehr und Krieg - erstmals Europa. Die Erkrankung beginnt mit sturzbachartigen Durchfällen und Dauererbrechen. Geplatzte Kapillargefäße verfärben die Haut schwarz und blau, der Kranke wird von Krämpfen geschüttelt, die Organe versagen, der Kreislauf bricht zusammen, das Herz stolpert und die Nieren arbeiten nicht mehr. Die Verbreitung der Krankheit erfolgt hauptsächlich über das Trinkwasser, das mit Exkrementen von „Cholera-Kranken“ verunreinigt ist. Eine Ansteckung ist nur möglich, wenn der Erreger über den Mund in den menschlichen Verdauungstrakt gelangt. |
1831
1831 Preußen * Über Russland und Polen gelangt die „Cholera“ nach Preußen und von dort nach England. Kuriose Vorschläge zur Bekämpfung der Seuche tauchen auf. So schreibt die Freiin Caroline von Maiern in einer in Nürnberg erschienenen Flugschrift „Entdeckung des Geheimnisses der Cholera“ folgendes: Eine andere Schrift, die auch in München auftaucht, will Händler, „welche aus angesteckten Ländern kommen“, in eine vierzigtägige Quarantäne stecken. Mitgeführte Papiere sollten geräuchert, Nahrungsmittel in Essig getaucht werden. Die Schrift endet mit der Drohung: „Diejenigen, welche gegenwärtigen Vorschriften keinen Glauben schenken, werden sich der Gefahr aussetzen, ihren Unglauben mit dem Leben zu büßen“. |
1832
Januar 1832 Frankreich * Die „Cholera“ tritt in Frankreich auf und verbreitet sich von da aus über die ganze Erde. |
19. April 1832<p><strong><em>München</em></strong> * Das Bayerische Innenministerium befasst sich mit der Cholera und gibt erste vorsorgliche Hinweise an die Bevölkerung.</p> |
1836
Um März 1836 Süddeutschland * Die „Cholera“ grassiert erstmals in Süddeutschland. Das Bürgertum fühlt sich zunehmend von den „armen“ Bevölkerungsschichten bedroht, weshalb das „Bayerische Staatsministerium des Innern“ eine Verordnung erlässt. In dieser wird die Notwendigkeit der Unterstützung der Armen angesichts der herrschenden Epidemie eingefordert, da sie „zum Schutze der Gesamtheit nicht minder als zum Schirme der Dürftigen selbst“ notwendig sei, „da die in den Hütten sich steigernde Krankheit auch auf alle übrigen Klassen und den Gesundheits-Zustand ganzer Orte nicht ohne Rückwirkung bleibt“. |
August 1836 München - Vorstadt Au - Haidhausen * In München bricht die erste „Cholera-Epidemie“ aus. 143 von 4.700 Bewohner Haidhausens sterben daran, das sind rund 3 Prozent. Von Übergriffen auf Ärzten wegen der „Cholera“ wird berichtet: „Im Jahre 1836 hielt man in der Vorstadt Haidhausen dafür, daß die Aerzte den Leuten die Cholera erst ins Haus brächten, und sie wollten von ärztlichen Nachforschungen im Hause nichts wissen. Es war daher das Aufsuchen und die Nachfrage in Haidhausen, ob im Hause keine Diarrhöen vorkämen, dem vorurtheilsvollen und ungebildeten Publikum gegenüber sogar mit persönlicher Gefahr verbunden“. Bei den nächsten Epidemien spielten Vergiftungsvorstellungen keine Rolle mehr. So hält sich die Vorstellung, der „Aids-Virus“ sei in einem amerikanischen Labor geschaffen worden, um die „Schwarzen“ auszurotten, auch noch immer. |
1837
1837 Vorstadt Au - Haidhausen - Giesing * Der Auer „Armenarzt“ Anselm Martin schreibt: „In den Herbergen sind nicht nur Menschen, sondern auch noch alle Gattungen Hausthiere Katzen, Kaninchen, Vögel, Mäuse und dergleichen, so wie alle nur erdenklichen Handwerksgeräthe, Hausutensilien, alte, bereits halb verfaulte, zusammengesammelte Leinwand, zerbrochenes Glas, neugewaschene zum Trocknen aufgehängte Wäsche und dergleichen in den kleinsten, mit zurückstoßender Luft angefüllten Gemächern anzutreffen. Die Öfen sind gewöhnlich von Ziegel, selten von Eisen. Die „Höhe der Wohnräume“ liegt bei 180 bis 192 Zentimetern; die „Dachdeckungen“ aus Ziegel oder Blech lösen erst im 19. Jahrhundert die Schindel- oder Strohdeckung ab; ihre „Galerien und Träger“ verzieren die Bewohner mit Schnitzereien. „Gemeinsamer Besitz“ aller Hausbewohner sind das „Grundstück“, die „Umfassungsmauern“ und das „Dach“. Diese komplizierten Eigentumsverhältnisse führen häufig zu ausgiebigen Streitereien. Nicht umsonst heißt es in den Akten des Landgerichts: „So viele Herbergsbesitzer sich in einem Hause befinden, ebensoviele Hauseigentümer gibt es im selben; keiner lässt sich vom andern etwas einsprechen, jeder tut in seiner Herberge, was er will“. Auch die „hygienischen Zustände“ sind katastrophal. Da eigene „Abtritte“ fehlen, benutzt man „Häfen und Leibstühle“. Das Fehlen der „Abfalltonnen“ bedingt viele unreinliche Wohnungen. Es ist also kein Wunder, dass viele Bewohner an den „Typhus- und Choleraepidemien“ sterben und die Einwohner oft hohen Blutzoll zu entrichten haben. |
1839
4. Mai 1839 München * Therese Schlutt, verheiratet mit Anton Feldmüller, Gastwirt aus Kirchensur bei Amerang, ehemals Landgericht Wasserburg, beantragt eine Aufenthaltsgenehmigung in München wegen „Ehedifferenz“. Wahrscheinlich aber, um ihren väterlichen Erbteil anzutreten. |
17. Mai 1839 Bogenhausen * Die Witwe Anna Schlutt und ihren Sohn Johann Baptist verkaufen die Immoblilie Priel 1 bei Bogenhausen an Herzog Max in Bayern („Zither-Maxl“). Dieser hat 1½ Jahre zuvor das Montgelas-Erbe in Bogenhausen erworben und erweitert jetzt durch Zukäufe seine Liegenschaft zum späteren Herzogpark. |
1840
1840 Untergiesing * Die Kultivierung des durch die Regulierung der Isar gewonnenen Landstreifens der rechten Isarseite beginnt mit der Pflanzung von Weiden. Sie zieht sich aber lange Zeit hin, weil der Dammbau nur schleppend vorankommt. |
15. Januar 1840 Obergiesing * Die Theres Feldmüller meldet sich in München ab, um sich in Obergiesing niederzulassen und mit ihrem ererbten Vermögen ein Bauernanwesen zu kaufen. Die Ökonomie verpachtet sie weiter. Es sind vermutlich Teile des ehemaligen Sturmhofs, der bereits in der vorherigen Generation „zertrümmert“ worden war. Daneben betreibt sie am Färbergraben Nr. 4 in München eine Milchniederlage. |
Um März 1840 Obergiesing * Theres Feldmüller erwirbt weitere Grundstücke in Obergiesing. Sie lässt ihre Äcker und Wiesen parzellieren und verkauft - wann immer sie Geld braucht - ein Stück ihres Grundbesitzes als Bauplatz an zugewanderte Kleingewerbetreibende, Tagelöhner und Arbeiter des Baugewerbes zum Bau von „Eigenheimen“. Auch neu erbaute Häuser kauft und verkauft sie öfter. Die „Feldmüller-Siedlung“ entsteht. Dieses „Arbeiterquartier“ aus der Zeit König Ludwig I. entwickelt sich gleichzeitig mit der mittelständisch-bürgerlichen „Maxvorstadt“. |
1841
13. November 1841 München - München-Kreuzviertel * Königin Caroline von Bayern stirbt. König Ludwig I. verbietet die Aufbahrung der Toten in der evangelischen Kirche. Sie wird stattdessen in die Herzog-Maxburg gebracht. Schloss Biederstein erbt ihre jüngste Tochter, die Herzogin Ludovika in Bayern. |
18. November 1841 München-Kreuzviertel * Der Sarg der evangelischen Königin Caroline wird in einem feierlichen Zug von der Herzog-Maxburg zur Theatinerkirche geleitet. Sechzehn evangelische Geistliche gehen vor dem Sarg, dahinter König Ludwig I. und weitere hohe monarchische Würdenträger. An der Theatinerkirche angekommen, bleibt das Kirchenportal geschlossen. Trotz schlechten Wetters muss die Aussegnung vor der Kirche vorgenommen werden. Erst dann können die sterblichen Überreste der Königin an die Priester des Kollegiatsstifts von Sankt Cajetan übergeben werden. Die katholischen Priester sind in gewöhnlicher Straßenkleidung erschienen, die Kirche ist dem Anlass entsprechend nicht ausgeschmückt, keine brennenden Kerzen, keine Orgelmusik, kein Gesang. Die evangelischen Geistlichen dürfen die Theatinerkirche nicht betreten. Der Sarg wird ohne Gebet und Segen in der Gruft abgestellt. Angeordnet hat diese Maßnahmen gegen die Häretikerin der Erzbischof von München-Freising, Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel. |
19. November 1841 München-Kreuzviertel * Der Trauergottesdienst für die verstorbene evangelische Königin Caroline findet in der noch immer ungeschmückten Theatinerkirche statt. Erzbischof Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel untersagt auch hier Gebete, Gesang, Kerzen und geistliches Ornat. |
1842
14. Februar 1842 München-Kreuzviertel * Das Herz der ersten bayerischen Königin Caroline wird in einer goldenen Urne in der „Theatinerkirche“ beigesetzt. Üblicherweise werden die Herzen der Wittelsbacher in der Altöttinger „Gnadenkapelle“ untergebracht. Bei diesem feierlichen Trauerakt sind die katholischen Geistlichen in liturgische Kleider gehüllt. |
1844
1844 Obergiesing * Der Pächter der Theres Feldmüller in Obergiesing setzt sich unter Hinterlassung von Schulden ab. Vermutlich ist die Ökonomie wegen der fortdauernden Grundstücksverkäufe nicht mehr Gewinn bringend zu bewirtschaften. Die Strafanzeige erbringt nichts. |
1846
26. März 1846<p><strong><em>Obergiesing</em></strong> * Theres Feldmüller verkauft ihr letztes Grundstück in Obergiesing und verlässt danach den Ort. Sie hat innerhalb von sechs Jahren in der Entwicklung des Dorfes bleibende Spuren hinterlassen.</p> |
23. Juni 1846 München * Theres Feldmüller meldet sich in München ab. |
10. Oktober 1846 Neuötting * Theres Feldmüller erwirbt in Neuötting ein Gastwirtsanwesen. |
1848
1848 München * Der Pharmazeut und Hygieniker Max Pettenkofer, von den Münchnern liebevoll-verachtend „Scheißhäusl-Apostel“ genannt, wird Mitglied der „Königlichen Kommission der Erforschung der indischen Cholera“. |
1849
24. Juni 1849 Allach * Hans Steyrer wird in Allach als Sohn der Metzger- und Wirtsleute Josef und Mathilde Steyrer geboren. Im Gegensatz zum gallischen Obelix ist der Bub aber nie in einen Zaubertrank gefallen, sondern besitzt seine außergewöhnliche Kraft bereits von Kindesbeinen an. |
30. Oktober 1849 München-Graggenau * Beide Münchner Gemeindekollegien stimmen der Vereinigung mit den drei östlichen Vororten zu. |
1853
11. März 1853 Amerang * Anton Feldmüller stirbt in Kirchensur bei Amerang. Seine Ehefrau Theres tritt das Erbe an. |
1. April 1853 Eggenfelden * Theres Feldmüller pachtet - gemeinsam mit ihrem Vetter Franz-Xaver Huber, Gastwirtssohn aus Zolling bei Freising, - die Wirtschaft beim „Freiherrlich von Closen‘schen“ Bräu- und Wirtsanwesen zu Eggenfelden und betreibt diese bis zum 1. Mai 1855. |
1854
17. Mai 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Fünf Jahre dauern die Überlegungen des Kgl. Bay. Staatsministeriums des Inneren, bis die 25 Paragraphen zur Eingemeindung ausgearbeitet sind. Nun ist die Vereinigung Münchens mit der Au, Haidhausen und Giesing genehmigt. „Seine Majestät der König haben die nachgesuchte Vereinigung der Gemeinde Au, Giesing und Haidhausen mit der Reichshaupt- und Residenzstadt München in Eine Gemeinde unter Erhebung jener drei Gemeinden zu Vorstädten von München [...] allergnädigst zu genehmigen geruht.“ |
28. Mai 1854 München-Graggenau * Ein großer Bittgottesdienst zur Abwendung der Cholera-Epidemie wird an der Mariensäule auf dem Schrannenmarkt zelebriert. 25.000 Menschen beteiligen sich. |
15. Juli 1854 München-Maxvorstadt * Die im Glaspalast stattfindende Industrie-Ausstellung wird von König Max II. feierlich eröffnet. Nur wenige Tage später bricht die Cholera aus. Bei der Eröffnungsrede bricht ein Billeteur tot zusammen. Man glaubt an einen Schlaganfall, doch vermutlich handelt es sich um das erste Opfer der Cholera. |
18. Juli 1854 München-Graggenau * Ein Theaterbesucher aus der Schweiz bricht während der Vorstellung zusammen und wird in die Klinik gebracht. Vermutlich ist auch er bereits vom Cholera-Erreger angesteckt. |
27. Juli 1854 München * Der 39-jährige Tagelöhner Peter Stopfer ist das erste amtliche Opfer der Cholera-Epidemie. |
29. Juli 1854 München * Der 39-jährige Tagelöhner Peter Stopfer stirbt. Mit ihm beginnt offiziell die Statistik der Cholera-Todesopfer. |
2. August 1854 München * Das Bayerische Innenministerium beruft ein Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr, das sich bis Mitte Oktober wöchentlich zwei Mal treffen wird. Beim ersten Zusammentreffen muss man seit dem 29. Juli weitere 22 Brechdurchfall-Erkrankungen zur Kenntnis nehmen, von denen zwölf mit dem Tod endeten. Aufgrund der Arztberichte bestätigt sich das Vorhandensein der Cholera. Eine vorsichtige Information der Bevölkerung in der halbamtlichen Neuen Münchner Zeitung wird beauftragt. Mit den Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln hofft das „Komitee“ auf keine weitere Verbreitung der Krankheit. |
3. August 1854 München * In der halbamtlichen Neuen Münchner Zeitung wird mitgeteilt, dass „in Folge der außergewöhnlichen, rasch eingetretenen Hitze, Durchfälle vorgekommen“ und dass „daran namentlich einige kleine Kinder, alte und kränkliche Personen gestorben“ sind. Als Ursache wird „die Überladung des Magens mit Kartoffeln, Gurken und dergleichen“ angegeben. Die Cholera erreicht auch die Vorstädte Au, Haidhausen und Giesing. Bis zu deren Eingemeindung am 1. Oktober werden die Sterbestatistiken getrennt geführt. |
5. August 1854 München - Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Die Cholera-Erkrankungs- und Todesfälle haben weiter zugenommen, weshalb das „Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr“ einen Maßnahmenkatalog in Angriff nimmt. Ärztliche Besuchsanstalten werden eingerichtet und dabei das Stadtgebiet und die Vorstädte Au, Haidhausen und Giesing in 13, später 15 Distrikte eingeteilt. |
6. August 1854 München * Der Bayerische Landbote dementiert die über Mundpropaganda verbreitete Nachricht, „dass die Cholera wieder herrsche“. |
7. August 1854 München * Seit Ausbruch der Cholera sind alleine auf Münchner Stadtgebiet 44 Todesfälle aufgetreten. |
8. August 1854 München * In der Neuen Münchner Zeitung wird erstmals zugegeben, dass die Gefahr einer Cholera-Epidemie besteht. |
13. August 1854 München * Die Ärztlichen Besuchsanstalten nehmen ihre Tätigkeit auf. Die Zahl der durch die Cholera verursachten Todesopfer ist auf 208 angestiegen. |
Bis 22. August 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * In den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing zählt man insgesamt 138 Cholera-Tote. |
23. August 1854 München * Der Epidemie-Höhepunkt ist in München erreicht. An diesem Tag sterben 82 Personen an der Cholera und erhöhen damit die Gesamtsterbezahl auf 803. |
28. August 1854 München-Graggenau * Um die Abwendung der Cholera-Epidemie zu erflehen und die Ausbreitung künftig möglichst zu unterbinden, wird ein großer Bittgottesdienst an der Mariensäule auf dem Schrannenplatz zelebriert. 25.000 Menschen sollen sich dort eingefunden haben. |
30. August 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Der Epidemie-Höhepunkt ist in den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing erreicht. An diesem Tag sterben 34 Personen an der Cholera und erhöhen damit die Gesamtsterbezahl auf insgesamt 355. |
September 1854 München-Theresienwiese - München-Au - München-Maxvorstadt * Wegen der grassierenden „Cholera“ sagt die Regierung das „Oktoberfest“ ab, was zu zahllosen Klagen der Geschäftsleute führt. Als auch noch die „Auer Herbstdult“ storniert werden soll, bitten die Geschäftsleute, „dem ohnedieß diesem Sommer schwerheimgesuchten Gewerbestand“ nicht auch noch dieses „Bißchen Brot“ zu entziehen. Weder zur „Auer Herbstdult“ noch zu der seit 15. Juli stattfindenden „Industrie-Ausstellung“ im „Glaspalast“ finden sich viele Interessenten ein. |
2. September 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Die Cholera-Sterbezahl in München und den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing beträgt an diesem Tag insgesamt 107. |
3. September 1854 München * Die täglichen Cholera-Sterbefälle nehmen in München deutlich ab. Seit dem Ausbruch der Epidemie sind 1.468 Münchner verstorben. |
9. September 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Die täglichen Cholera-Sterbefälle gehen jetzt auch in den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing deutlich nach unten. Seit dem Ausbruch der Epidemie sind 564 Personen verstorben. |
13. September 1854 München * In München werden die ersten - wegen der Cholera-Epidemie eingerichteten - Ärztlichen Besuchsanstalten aufgelöst. |
Ab 23. September 1854 München • Die Münchner Armenärzte übernehmen wieder die Behandlung der Cholera-Kranken. |
29. September 1854 München-Graggenau * Ein „Verein hiesiger Bürger“ lädt für den 3. Oktober zu einem feierlichen Dankamt zur Mariensäule am Schrannenplatz ein, „um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen“. In dieser Einladung wird die Cholera schon für beendet erklärt. |
30. September 1854 München * Das Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr beschließt, das die Cholera in München erloschen ist. Nur drei Ärzte stimmen dagegen. Alle Ärztlichen Besuchsanstalten werden geschlossen, die Suppenanstalten wieder auf vier reduziert. Die ärztliche Versorgung in den Vorstädten wird eine Woche länger aufrecht erhalten. 2.143 von rund 114.000 Münchner Einwohnern fallen bis dahin der sogenannten Kalten Pest zum Opfer, das sind 1,9 Prozent. In den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing sterben 781 von 21.000 Bewohnern, das ist mit 3,7 Prozent eine fast doppelt so hohe Sterbequote. Kinder, Frauen und ältere Menschen machen die Mehrzahl der Opfer aus. In München liegt der Anteil der Frauen bei 45,7 Prozent, der der Kinder unter zehn Jahren bei 19,7 %. In den Vorstädten liegt die Sterblichkeit bei den Frauen bei 39,5 und bei den Kindern bei 25,2 Prozent. An der Cholera sterben stets mehr Frauen als Männer. Das liegt daran, dass Frauen immer einer größeren Infektionsgefahr ausgesetzt sind, da sie die Kranken versorgen und die Wäsche waschen. Während der Anteil der über 60-jährigen Opfer in der Stadt München fast 27 Prozent beträgt, sind es in den Vorstädten „nur“ 17,7 Prozent. Das liegt aber an der sowieso wesentlich geringeren Lebenserwartung. In Haidhausen wird fast kein Haus von der Cholera verschont. Hier liegt die Sterbequote bei 4,8 Prozent. Darunter sind 57 Mütter und 42 Väter, wodurch 102 Kinder einen Elternteil verlieren. Zwanzig Kinder werden zu Vollwaisen. Von den in der Strafanstalt in der Au einsitzenden 541 Häftlingen sterben 63, gleich 11,6 Prozent. |
1. Oktober 1854 München * Das Stadtgericht München wird um einen zusätzlichen Bezirk erweitert. Es enthält den Namen Stadtgericht rechts der Isar und umfasst die neu eingemeindeten Stadtviertel Au, Giesing und Haidhausen. Zwischen 1854 und 1862 existieren in München also zwei Landgerichte und zwei Stadtgerichte. |
1. Oktober 1854 München-Au - München-Haidhausen - München-Giesing * Eingemeindung nach München
Dadurch erhöht sich die Bevölkerungszahl Münchens um 20.662 Einwohner. Davon kommen aus der Au 10.840, aus Haidhausen 6.273 und aus Giesing 3.549 Menschen. Damit wächst zusammen, was zusammen gehört, den die Bewohner der drei Vorstädte gehörten schon immer „funktional“ nach München. Die Au ist zu diesem Zeitpunkt die zehntgrößte Stadt des Königreichs Bayern. Der Burgfrieden von München, der sich durch Korrekturen seit dem Jahr 1724 von 1.593 Hektar auf rund 1.700 Hektar erweitert hat, verdoppelt sich nahezu. Mit der Au [87 ha], Haidhausen [296 ha] und Giesing [1.287 ha] vergrößert sich das Stadtgebiet um weitere 1.670 Hektar. Wegen der noch grassierenden Cholera-Epidemie erfolgt der Eingemeindungsakt ohne großes Aufsehen. |
2. Oktober 1854 München * Die Cholera-Epidemie wird in der Neuen Münchener Zeitung offiziell für erloschen erklärt. An die Bevölkerung wird appelliert, auch weiterhin die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, da die Krankheit noch längere Zeit vereinzelt auftreten kann. |
3. Oktober 1854 München-Graggenau * Aus Dankbarkeit für die Abwendung der Cholera versammeln sich „zahllos die Andächtigen jeden Standes, Geschlechts und Alters um die im schönsten Blumenschmuck prangende Mariensäule“ am Schrannenplatz. Ein „Verein hiesiger Bürger“ hatte dazu bereits am 29. September eingeladen, „um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen“. |
14. Oktober 1854 München * Das Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr [= Cholera] hält seine letzte Sitzung ab. |
17. Oktober 1854 München-Kreuzviertel * Nachdem König Max II. mit seiner Familie wieder nach München zurückgekehrt war, musste auf seinen Befehl hin nochmals ein Dankgottesdienst zur Überwindung der Cholera in der Frauenkirche abgehalten werden. Hierzu haben alle Beamten in ihrer Uniform zu erscheinen. |
20. Oktober 1854 München-Graggenau * Der Stadtmagistrat teilt der Öffentlichkeit mit, dass „der bisherige Schrannenplatz dahier fernerhin 'Marienplatz' genannt werden dürfe“. |
26. Oktober 1854 München-Graggenau * Die Königinmutter Therese stirbt an der Cholera. Ihre Grabstätte befindet sich heute in der Basilika Sankt Bonifaz in München. |
28. Oktober 1854 München - Darmstadt * Der Ex-König Ludwig I. reist in Begleitung seiner Tochter, der Großherzogin Mathilde von Hessen, und seinem Sohn Adalbert mit dem Eilzug nach Darmstadt. Er will scheinbar bei der Bestattung seiner evangelischen Frau Therese in der Theatinerkirche einen möglichen Eklat ausweichen, wie er sich 1841 bei Königin Caroline ereignet hat. |
31. Oktober 1854 München-Kreuzviertel * Die evangelische Ex-Königin Therese wird vorübergehend in der Gruft der Theatinerkirche beigesetzt. |
8. Dezember 1854 Vatikan * Papst Pius IX. verkündet das dritte Marianische Dogma, das besagt: „Maria hat unbefleckt empfangen.“ Es geht darum, dass bereits Maria ohne Erbsünde geboren worden ist. Damit entscheidet das Oberhaupt der katholischen Kirche einen Jahrhunderte alten theologischen Streit. Doch nicht nur der Inhalt des Dogmas erregt Aufsehen, sondern auch die Tatsache, dass der Papst diese Entscheidung ohne ein Konzil und damit völlig eigenmächtig getroffen hat. Dogmen gelten in der katholischen Kirche als geoffenbarte Glaubenswahrheit und sind deshalb für alle Katholiken verbindliche und unumstößliche Glaubenssätze. Ignaz von Döllinger und viele deutsche Theologen sind entsetzt über dieses Dogma. Döllinger kann aber weder in der Heiligen Schrift noch in der Überlieferung der alten Kirche etwas auffinden, das diesen Glaubenssatz gerechtfertigten würde. Die Münchner theologische Fakultät rät dem Papst jedenfalls in einem Gutachten von diesem Schritt eindringlich ab. Ignaz von Döllinger hält sich dabei noch zurück. |
1855
Bis April 1855 München * Die „Cholera“ tritt in München sporadisch immer wieder auf. Bis zu ihrem endgültigen Verschwinden kostet sie 3.082 Menschen das Leben. |
Nach Mai 1855 Neuötting * Theres Feldmüller verkauft ihr Anwesen in Neuötting, erwirbt ein Haus in Schwabing und beantragt dort zusammen mit Franz-Xaver Huber die Ansässigmachung und Eheschließung. Beides wird wegen „schlechten Leumunds“ (Überschuldung und Urkundenfälschung) abgelehnt. |
1856
1856 München * Das „Stadtgericht München“ und das „Stadtgericht rechts der Isar“ werden in „Bezirksgerichte“ umbenannt. |
1858
1858 München-Obergiesing * Nachdem die Beziehung zu ihrem Vetter Franz-Xaver Huber in die Brüche geht, verlieren sich die Spuren der Theres Feldmüller. Man sagt ihr ein „wechselhaftes Leben“ nach, weshalb sie noch heute einen „schlechten Ruf“ besitzt. |
11. Februar 1858 Lourdes - Rom-Vatikan * In den Auseinandersetzungen um das Dogma der unbefleckten Empfängnis erscheint dem Bauernmädchen Bernadette Soubirous in einer Felsengrotte bei Lourdes eine „schöne weiße Dame“, die sich als „die unbefleckte Empfängnis“ betitelt. Aus der Sicht von Papst Pius IX. gerade im richtigen Moment. Umgehend wird der Ort der Erscheinung zum Wallfahrtsort erhoben. |
1859
1859 München * Nach der Aufhebung der „Maulkorbverordnung“ steigt die Zahl der Hunde wieder stark an. |
1861
31. Dezember 1861 München - München-Au - München-Haidhausen - München-Giesing * Im Physikatsbericht des Bezirks der Stadt München finden sich über die Wohnverhältnisse in den Herbergsvierteln folgende Ausführungen: „München besteht gegenwärtig aus 2 Theilen, durch den Isarfluß voneinander getrennt. München links der Isar ist der größte Theil, und das ursprüngliche, eigentliche, alte München. München rechts der Isar enthält die erst seit 1854 zu München gezählten 3 Vorstädte Au, Haidhausen und Giesing. In diesen 3 Vorstädten sind natürlich die Wohnungsverhältnisse ganz anders, wie auch die Population eine ganz andere ist, als wie in München links der Isar. In den genannten 3 Vorstädten, in welchen größtentheils Taglöhner, überhaupt Arbeiterbevölkerung wohnt, ist das Herbergswesen vorherrschend. [...] In diesen Herbergen ist die Bewohnung dichter, sind die Wohnungen überhaupt schlechter, den hygienischen Anforderungen nicht entsprechend, ja sie sind, wie dies namentlich in den Jägerhäuseln, in der Lohstraße, Quellenstraße, in der Grube zu Haidhausen der Fall ist, sogar im hohen Grade feucht in Folge ihrer tiefen Lage an dem Bergabhang und an den Canälen und dergleichen, sie sind finster, oft dumpf usw., und wunderbar dennoch ist, wie ich in einer speciellen Bearbeitung der Wohnungsfrage in München im Allgemeinen im vorigen Jahre nachgewiesen habe, die Mortalität in diesen Straßen und Häusern nicht im Geringsten eine größere, und sind die Erkrankungen, namentlich an Typhen etc. nicht einmal so häufig hier, als wie in den luftigsten und schönsten Quartieren der Stadt. Ich weiß dieses nur dadurch zu erklären, daß diese Bevölkerung eine abgehärtetere und obgleich arm, doch gut genährte, und größtentheils im Freien lebende ist.“ |
31. Dezember 1861 München-Giesing * Der Physikatsbericht gibt Auskunft über die Aufteilung der Häuser in Herbergseigentum in Giesing:
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1862
1862 München * In München gibt es noch 2.298 Rinder und rund 4.500 Hunde. |
1863
1863 München - München-Maxvorstadt * Die Familie des Steyrer Hans nach München, wo sie die Gastwirtschaft „Wilhelm Tell“ führt. Standesgemäß erlernt der Hans das „Metzgerhandwerk“ in einem Laden am Maximiliansplatz. |
1864
1864 Rom-Vatikan * Papst Pius IX. erlässt - wieder ohne Konzil - die „Enzyklika Quanta Cura“, den sogenannten „Syllabus“, der eine Aufstellung von 80 „zeitgemäßen Irrlehren“ enthält. Dazu gehören nicht nur der „Pantheismus“, Naturalismus“ und „Rationalismus“, sondern vor allem der „Sozialismus“, Kommunismus“ sowie „irrige Anschauungen“ über die „Natur der Ehe“ und das „Verhältnis von Staat und Kirche“. Die „Kurie“ sieht ihren Feind in der „modernen Welt“. Auf Kritik an der „römisch-katholischen Kirche“ und auf „Individualismus“ antwortet sie mit dem Anspruch, dass nur sie selbst auf Erden die Sache Gottes „ausschließlich, alleinig und entscheidend“ vertreten könne. Besonders in Deutschland entbrennt daraufhin eine Auseinandersetzung, in deren Folge es zum sogenannten „Kulturkampf“ kommt. |
Um 1864 München-Obergiesing * Die neue Heilig- Kreuz-Kirche wird nach Plänen von Georg von Dollmann gebaut. Den entscheidenden Einfluss auf die architektonische Gestaltung des Kirchenneubaus übt jedoch der Ex-König Ludwig I. aus, der achtzehn Jahre zuvor seiner Ämter enthoben worden ist. Er ist nicht nur während der Planungsphase und des ersten Bauabschnitts der potenteste Finanzier, sondern bestimmt auch den Architekten: den königlich bayerischen Hofbaurat und Schwiegersohn von Leo von Klenze, Georg von Dollmann. Dieser hatte für den pensionierten König den Ausbau der assyrischen Abteilung in der Glyptothek und einen großen Teil der Befreiungshalle ausgeführt. Dollmann ist Betriebsingenieur der kgl. bay. Staatsbahn und wirkt als Baumeister König Ludwigs II. bei der Projektierung seiner Schlösser mit. |
1865
Seit 1865 München * An den bayerischen „Hochschulen“ werden „Lehrstühle für Hygiene“ eingerichtet. |
1866
9. September 1866 München-Obergiesing * Die Grundsteinlegung für die neue Heilig-Kreuz-Kirche in Obergiesing findet statt. Der Bau entsteht auf einem Gebiet, das landwirtschaftlich nicht genutzt werden kann, nachdem hier die Toten der Pest des Jahres 1636 begraben worden sind. Geldgeber Ex-König Ludwig I. verlangt von vom Architekten Dollmann, dass die Kirche „noch schöner werde, als die Auer Kirche“. Die Stadtbaukommission besteht auf die Erhöhung des Kirchturms von achtzig auf 95 Meter. Damit ist die Heilig-Kreuz-Kirche - bis zum Bau des Fernsehturms - der höchste Punkt Münchens. Niemand fragt zum Entstehungszeitpunkt der Kirche, ob der Bau in die Gegend passt oder ob er von der armen Vorstadtgemeinde überhaupt finanziert werden kann. „Wieder wurde hier ein Denkmal gesetzt, für das die Nutzung nur Anlass und zweitrangige Funktion war“, schrieb G. Schickel im Jahr 1987. |
1867
Um 1867 Lenggries * Als „Metzgergeselle“ in der „Alten Wirtschaft“ in Lenggries beginnt der Steyrer Hans mit dem Heben von Steinblöcken unter erschwerten Bedingungen, nämlich mit nur einem Finger. |
1868
1868 Obergiesing * Die Kirchenschiffe der neuen „Heilig-Kreuz-Kirche“ sind bereits dreizehn Meter hoch, aber auch alles Geld verbaut. |
Ab 1868 Schloss Linderhof * Georg von Dollmann wirkt bei den Planungen für „Schloss Linderhof“ mit. |
5. Oktober 1868 Maxvorstadt * Der Alte Nördliche Friedhof an der Arcisstraße wird eingeweiht. Er umfasst 7.272 Gräber und wird zum Ende des 19. Jahrhunderts bereits voll belegt sein. |
1869
Ab 1869 Schloss Neuschwanstein * Georg von Dollmann wirkt bei den Planungen für „Schloss Neuschwanstein“ mit. |
1870
1870 Rom-Vatikan - München * Das Erste Vatikanische Konzil beschäftigt sich mit der Lehrgewalt des Papstes, bei der die Mehrzahl der Bischöfe die „Unfehlbarkeit des Papstes“ in Glaubensfragen bejaht. Daraufhin spalten sich - unter Führung von Ignaz Döllinger - die Altkatholiken von der römisch-katholischen Kirche ab, da sie die Konzilsentscheidung nicht anerkennen wollen. |
1870 Rom-Vatikan * Der Papst verliert seine weltlichen Machtbefugnisse über den Vatikan. |
18. Juli 1870<p><em><strong>Rom-Vatikan</strong></em> • Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil wird die Unfehlbarkeit des Papstes verkündet. Von dem umstrittenen Dogma wird nur einmal Gebrauch gemacht. </p> |
Um Oktober 1870 München - Frankreich * Als Rekrut zieht der Steyrer Hans in den Deutsch-Französischen Krieg. Dort findet er neue Übungsgegenstände, wie ausrangierte Zugräder und Kanonenrohre. Angesichts des kargen Solds entschließt er sich, alle Kraft aufs Geldverdienen zu verwenden. Der „bayerische Herkules“ ist fest entschlossen, seine Kunst jetzt auch öffentlich zu zeigen. |
8. Dezember 1870 Rom-Vatikan * Josef, der Nährvater Jesu, wird von Papst Pius IX. zum Patron der katholischen Kirche ernannt. |
1872
Nach 1872 München-Obergiesing * In den 1870er Jahren, als das Baugewerbe in München nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich einen allgemeinen Aufschwung erlebt, lässt ein Teil der Obergiesinger Kleinhausbesitzer seine Häuser aufstocken, sodass in der „Feldmüller-Siedlung“ das zweigeschossige Vorstadthaus prägend wird. Die Gebäude sind dennoch äußerst einfach und schlicht. |
1872 München * Die dritte Welle der „Cholera“ kündigt sich an. In München sterben 17 Menschen an der Seuche. |
1873
Ab 1873 München * Dritte „Cholera-Epidemie“ bricht in München aus. Sie führt zur Umsetzung der von Professor Max von Pettenkofer vorgeschlagenen hygienischen Maßnahmen der Stadtsanierung:
Damit wird München, als eine der schmutzigsten Städte die „sauberste Stadt Europas“. |
Um 1873 München-Ludwigsvorstadt * In München tritt der Steyrer Hans zuerst in der „Westendhalle“ in der Sonnenstraße auf. Mit dem Mittelfinger kann er bereits einen 375 Pfund schweren Steinbrocken heben. Um einen weiteren Anreiz fürs Publikum zu schaffen, setzt er eine hohe Belohnung für denjenigen aus, der es ihm nachmacht. Das bringt mehr Spannung und sorgt für reihenweise ruinierte Bandscheiben. Hans Steyrer reichert seine Vorstellungen mit immer effektvolleren Vorführungen zu einer kompletten „Kraftshow“ an. Dabei zerbricht er unter anderem zwischen seinen gewaltigen „Pratzen“ Hufeisen. Schnell sprach sich sein besonderes Talent herum und erregt dadurch überall Aufsehen, wird bald einem breiteren Publikum bekannt und erhält in der Folge Engagements in Wien, Berlin und Hamburg. |
September 1873 München-Theresienwiese * Das „Oktoberfest“ wird wegen der heraufziehenden „Cholera-Epidemie“ abgesagt. Seit 1810 fällt das Volksfest damit zum fünften Mal aus. |
Ab 9. November 1873 München * Die dritte Cholera-Epidemie bricht zwischen 9. und 15. November in München aus. Sie wütet am Schlimmsten bis April 1874 und wird bis 1875 andauern. Obwohl die Seuche diesmal vergleichsweise glimpflich abläuft, werden dennoch etwa 1.400 Münchner an der Cholera sterben. Sie führt zur Umsetzung der von Professor Max von Pettenkofer vorgeschlagenen hygienischen Maßnahmen der Stadtsanierung:
Damit wird München, als eine der schmutzigsten Städte die „sauberste Stadt Europas“. |
1874
1. November 1874 Wien * Der 300.000 Gräber und 240 Hektar umfassende Wiener Zentralfriedhof, und damit Europas größter Totenacker, wird eingeweiht. |
1875
Ab 1875 München-Obergiesing * Durch fünf Lotterien wurde die Baukasse soweit aufgefüllt, dass die neue „Heilig-Kreuz-Kirche“ weitergebaut werden kann. |
1876
1876 Italien * In Italien wird das erste „Krematorium“ gebaut. |
1877
1877 München - München-Obergiesing * Mit der Sammlung von Unterschriften beantragt man beim Magistrat die „Einführung der Leichenverbrennung“. Dieser befürwortet den Antrag, da sich für die rasant wachsende Großstadt mit der Feuerbestattung das Problem der „Grabplatz-Knappheit“ lösen würde. |
1878
1878 Gotha * In Gotha entsteht Deutschlands erste „Leichenverbrennungsanlage“. Der Münchner Magistrat befragt daraufhin die drei „Religionsgemeinschaften“ über Einwände gegen die „Feuerbestattung“. Während die „Israelitische Kultusgemeinde“ keinerlei Einwand sieht und das „protestantische Stadtpfarramt“ Änderungen des Ritus für unnötig erachtet, lehnt das „katholische Stadtpfarramt“ die „Leichenverbrennung“ kategorisch ab. Fürsprecher findet diese Bestattungsform bei den Sozialdemokraten. |
1878 München-Obergiesing * Die „Heilig-Kreuz-Kirche“ besitzt zwei bemerkenswerte Nebenaltäre: den „Marienaltar“ und den „Josephsaltar“. Das Programm des „Marienaltars“ wird im Rahmen einer Altarstiftung zum Tode des Papstes Pius IX. festgelegt. |
Ab Mai 1878 Schloss Herrenchiemsee * Georg von Dollmann wirkt bei den Planungen für „Schloss Herrenchiemsee“ mit. |
21. Oktober 1878 Berlin - Deutsches Reich - München-Au * Da die Zahl der Anhänger der sozialistischen Arbeiterbewegung ständig wächst und von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt, setzt Reichskanzler Otto von Bismarck das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie in Kraft. Davon unabhängig fördern die Bischöfe die katholischen Werktätigen finanziell und ideell mit der Organisation von Arbeitervereinen, darunter den Katholischen Arbeiterbund und dem Kolpingverein. Auch die Josephshäuser in der Hochstraße zeugen von diesen Aktivitaten. Während es den sozialdemokratischen Arbeitervertretungen um eine harte Vertretung der Arbeitnehmerinteressen gegenüber den Unternehmern und dem Staat geht, ist das oberste Ziel der katholischen Arbeitervereine die „christliche Lebensführung der Arbeiterfamilien“ und die Förderung sowie den Erhalt von „Religion und Sittlichkeit bei den Arbeitern“. |
1879
1879 München * Droht ihm ein Bewerber beim „Steinheben“ den Rang abzulaufen, lässt der „Steyrer Hans“ einen schwereren Steinbrocken anfertigen. Mit 508 Pfund erreicht er seinen ersten Höhepunkt, den er wenig später um weitere zwanzig Pfund überbietet. Eine Steigerung ist dann allerdings nicht mehr drin. Den schweren Brocken am Mittelfinger der rechten Hand hängend, verschafft er der linken schließlich noch ein wenig Beschäftigung zum Ausgleich: Mit ihr hält er gleichzeitig eine 100 Pfund schwere Eisenkugel mit gestreckter Hand in der Waagerechten. |
September 1879 München-Theresienwiese * Von 1879 bis 1903 bewirtschaftet der Steyrer Hans eine „Braubude“ auf dem „Oktoberfest“. Zuerst betreibt er eine „Festbude“ der „Pschorr-Brauerei“, um dann in den 1890er Jahren das „Kraftbier“ der Spatenbrauerei zu verzapfen. Dazu pachtet er gemeinsam mit seinem Schwager, dem Gastwirt Wilhelm Schäffer, zwei nebeneinanderliegende Budenplätze und errichtet darauf eine „Doppelbude“. Eine „Athleten-Kapelle“ spielt zur Unterhaltung auf. „Kraftbier“, „Kraftfleisch“, „Kraftsemmeln“ und eine „Kraftbrühe“ werden angeboten. Hier zeigt er auch sein viel bewundertes „Athleten-Kunststück“. Der „Steyrer“ packt ein mit dreißig bis vierzig Litern Bier gefülltes Fass mit zwei Fingern am Rand und hebt es vom Boden auf den Schanktisch. Der „Steyrer Hans“ versteht es außerordentlich gut, für sich und seine Geschäfte zu werben und so seine Popularität zu steigern. Er will in seiner „Festbude“ seine schwergewichtigen Requisiten, darunter seine „Schnupftabakdose“, ausstellen. Als ihm der „Magistrat“ dazu die Erlaubnis verweigert, drückt er sein Bedauern in Anzeigen aus, nicht jedoch ohne darauf hinzuweisen, dass das Publikum das interessante Schauerlebnis jederzeit im Saal seines Gasthauses nachholen könne. |
1880
Ab 1880 München - Paris - Amsterdam * Der Steyrer Hans dehnt seine „Gastauftritte“ auch auf das Ausland - nach Paris und Amsterdam - aus. Das ist zwischen 1880 bis 1885. Engagements in Amerika reizen den „bayerischen Herkules“ ebenso, doch scheitern diese Reisen an der Furcht des „Kraftmenschen“ vor einer „Seekrankheit“. Also bleibt er auf dem europäischen Kontinent und zeigt hier seine „Kunststücke“. |
1882
1882 München-Graggenau * Für die evangelischen Schulkinder des Münchner Ostens ist die protestantische „Schule an der Herrnstraße“ zuständig. Lediglich den Kindern des ersten und des zweiten Schuljahres ist es wegen der Länge und Gefährlichkeit des Schulweges gestattet, die entsprechenden Klassen in einer katholischen Schule zu besuchen. Von diesem Entgegenkommen machen jedoch nur wenige Schüler Gebrauch, da die Mehrzahl der Eltern befürchtet, ihre Kinder würden von dem „katholischen Geist dieser Klassen“ negativ beeinflusst werden und nehmen deshalb lieber den Weg in die Stadt in Kauf. |
1883
1883 Ägypten - Indien * Robert Koch entdeckt die „Cholera-Erreger“, die die akute bakterielle Darminfektion verursachen. |
1883 München * Die „Wasserversorgung aus dem Mangfalltal“ bringt reines, gesundes Wasser nach München. |
25. Oktober 1883 München-Obergiesing * Der Außenbau der neuen Heilig-Kreuz-Kirche in Ziegelbauweise ist abgeschlossen. |
1884
1884 München-Au - München-Haidhausen -München-Giesing * Der Auer „Pfarrer“ Simon Knoll schreibt: „Die Entstehung der sogenannten Herbergenhäuser setzt eine besitzlose Bevölkerungsklasse voraus, welcher die Mittel zu der bisher üblichen Niederlassung auf eigenem Grund und Boden fehlte, und sich daher auf anderweite ebenso rasche wie billige Weise die nöthigen Wohnräume zu verschaffen suchte. [...] Fülglich läßt die Herstellung solcher Häuser den Zufluß einer Bevölkerung erkennen, welche in der Wahl der Niederlassung beschränkt, sich deshalb nur auf abgelegenen, vordem unbenutzte und selbst ungesunde Plätze zusammengedrängt sieht. So entstanden die Herbergen aus dem Bedürfnis heraus, in Orten, in denen die Zahl der Hausstellen aus räumlicher Beengung nicht vermehrt werden konnte, den Bewohnern gleichwohl die rechtlichen und sozialen Vorteile der Eigentümerstellung zu gewähren. In jenen Gegenden, in denen genügend Bauland zur Verfügung stand, waren Herbergen nicht üblich.“ |
1884 Pfronten - München * Weil Georg von Dollmann - nach Meinung des „Märchenkönigs“ Ludwig II. - die „Burg Falkenstein“ zu wenig großzügig plant, wird er als Bauherr entlassen. |
1884 Obergiesing * Der Innenputz der neuen „Heilig-Kreuz-Kirche“ ist fertiggestellt. Mit der Innenausstattung wird begonnen. |
1885
Um 1885 München * Eine der „Spezialitäten“ des Steyrer Hans ist das sogenannte „lebende Reck“. Dabei hält der „Steyrer Hans“ mit ausgestreckten Armen eine Hantel mit achtzig Pfund Gewicht waagrecht vor sich, an der sein zwölfjähriger Sohn Turnübungen ausführt. |
1886
1886 München * Die „katholische Kirche“ droht ihren Mitgliedern mit der „Exkommunikation“, wenn sie ihre Leiche verbrennen lassen oder in einen entsprechenden Verein eintreten würden. |
31. Oktober 1886 München-Obergiesing * Nach zwanzigjähriger Bauzeit kann die Heilig-Kreuz-Kirche eingeweiht werden. |
1887
1887 München-Haidhausen - München-Au - München-Giesing * Die protestantischen Bewohner der Vorstädte Haidhausen, Au und Giesing fordern neben der Errichtung einer „Notkirche“ die Einrichtung von „evangelischen Klassen“. Es war nämlich zu dieser Zeit den evangelischen Kindern nicht erlaubt, in Haidhausen die Schule zu besuchen; sie mussten in die protestantische Schule an der Herrnstraße im Tal ausweichen. Nur Erst- und Zweitklässlern gestattete man - wegen der Länge des Schulwegs - den Besuch der Haidhauser Schule an der Kirchenstraße. |
September 1887 München-Theresienwiese * Der Steyrer Hans zieht mit festlich geschmückten Wagen zur „Theresienwiese“. Er selbst fährt mit seiner Familie im Vierspänner, es folgen sieben Zweispänner, beladen mit Musikanten sowie Schank- und Bedienungspersonal. Der Aufzug beginnt am „Restaurant Steyrer Hans“ in der Tegernseer Landstraße in Obergiesing. Nach einem Umtrunk im „Schneider Weißen“ im Tal wird Steyrers „Wiesneinzug“ von der Polizei gestoppt. Ein Gerichtsverfahren endet mit einer Geldbuße wegen „Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“, was jedoch die Sympathie für den bayerischen „Kraft-Athleten“ bei der Bevölkerung vermehrt. Das wiederum wirkt sich positiv aufs Geschäft aus. Damit ist der Steyrer Hans der Erfinder des „Einzugs der Wiesnwirte“. |
1888
Bis 1888 München-Obergiesing * Bis zum Abbruch der „alten“ Heilig-Kreuz-Kirche steht diese und auf gleicher Höhe wie das „neue“ Gotteshaus. |
September 1888 München-Theresienwiese * Als sich der Wiesnwirt Steyrer Hans nicht an das polizeiliche Verbot hält und erneut mit seiner Belegschaft in festlich geschmückten Wagen zum Oktoberfest fährt, muss er eine Strafe von 100 Mark zahlen. |
1890
Um 1890 München-Obergiesing * Mit einem Körpergewicht von beinahe zweieinhalb Zentnern und seinem vierzig Zentimeter langem Schnurrbart war der „Steyrer Hans“ eine stattliche, mitunter auch furchteinflößende Erscheinung. Kein Wunder, dass ihm die Münchner unterstellten, er würde „Oachkatzln“ schnupfen, die er in seiner zigarrenschachtelgroßen, dreiundvierzig Pfund schweren Tabakdose aus Marmor und Zinn untergebracht hätte. Verheiratet ist er mit Mathilde, der Tochter des „Schweinemetzgers“ Schäffer. Dann übernehmen sie eine kleine Wirtschaft in Obergiesing, den „Tegernseer Garten“, den sie ausbauen und bis zu seinem Tod als „Restaurant Steyrer Hans“ bewirtschaften. |
1891
1891 München * In München wird der „Verein für Feuerbestattung” gegründet. Er setzt sich für die „Einführung der Leichenverbrennung“ in München ein. Der Magistrat steht dem Gedanken der „Feuerbestattung“ noch immer positiv gegenüber, doch für die „Errichtung eines Krematoriums“ benötigt man die Erlaubnis der bayerischen Staatsregierung. |
1892
1892 München-Obergiesing * Der „Giesinger Berg“ wird reguliert. Dadurch entsteht um die Kirche herum eine Terrassenanlage, die den Turm am Giesinger Berg wie ein Wahrzeichen erscheinen lässt. |
1893
1893 München-Obergiesing * Der „Trinkbrunnen“ am Aufgang zur „Heilig-Kreuz-Kirche“ am Giesinger Berg geht in Betrieb. |
1894
1894 München * Die „bayerische Staatsregierung“ lehnt die „Einführung der Leichenverbrennung“ in München ab. Noch immer müssen Münchner, die eine „Feuerbestattung“ vorziehen, die hohen Kosten für den „Sargtransport“ zu einem auswärtigen „Krematorium“ akzeptieren. In Frage kommen dafür Gotha, später Heidelberg und Jena. |
1894 München-Obergiesing * Für die neue „Heilig-Kreuz-Kirche“ wird an der Gietlstraße ein neuer Pfarrhof erbaut, da das alte Pfarrhofgebäude wegen der Regulierung des „Giesinger Berges“ abgebrochen werden musste. Der nach den Plänen des damaligen Bauamtmanns und späteren Professors an der „TH München“, Carl Hocheder, errichtete Pfarrhof „enthält im Erdgeschoß die Geschäftsräume, im ersten Stock die Wohnung des Stadtpfarrers, in einem vollständig ausgebauten Dachgeschoss die Wohnräume der Hilfsgeistlichen. Im Nebengebäude sind Waschküche und Holzlege untergebracht“. |
1897
1897 München-Obergiesing * Bis auf wenigen Ausnahmen ist der Bau der „Heilig-Kreuz-Kirche“ vollendet. Den Innenraum der Kirche bestimmen lediglich drei Materialien: Stein, Holz und Gold. Bis auf die Glasmalereien der Fenster und die Seitenaltäre ist er völlig unfarbig. Der „Hochaltar“ der „Heilig-Kreuz-Kirche“, mit einer Gesamthöhe von 16 Metern, ist - wie die meisten Einrichtungsgegenstände - Geschenke oder Stiftungen reicher Münchner Privatiers. Seine Plastiken werden mit einer grauen, steinfarbenen Fassung versehen, die Gewänder haben Goldsäume. Ebenfalls vergoldet ist der Hintergrund des Mittelbildes. Das Kreuz gegenüber der Kanzel stammt noch aus der „alten“ Kirche. |
1898
1898 München-Au * Dr. Joseph Freudenberger schreibt über die hohe sozialpolitische Bedeutung der Herbergen: Es ist „nicht zu verkennen, daß sie gegen die sozialistischen Irrlehren vielfach feit, die ja bekanntlich darauf hinausgehen, Unzufriedenheit und Haß zu säen, und den diesen Gefühlen Verfallenen zum Kampfe gegen die Besitzenden aufzustacheln, wogegen jeder, der einen, wenn auch noch so kleinen Besitz hat, veranlaßt und verpflichtet ist, für Erhaltung der bestehenden Verhältnisse einzutreten. Nimmt man ihm aber diesen Besitz, fertigt man ihn und seine Ansprüche mit einer schnöden Summe Geldes ab, so wirft man ihn der Umsturzpartei [gemeint waren damit die Sozialdemokraten] förmlich in die Hände.“ |
Ab 1898 München-Angerviertel * Der Hundemarkt hat seinen Platz an der Faßeiche am Schrannenpavillon. |
1900
Um 1900 München * Der durchschnittliche Stundenlohn für eine Speisträgerin, ein sogenanntes Mörtelweib, liegt bei 22 Pfennige. Ein männlicher Mörtelträger erhält für die gleiche Arbeit 50 Pfennige in der Stunde. Die Mörtelweiber arbeiten im Akkord und bilden zu je Zweien eine Partie, die in einer Trage den Mörtel, auch Speis genannt, zu den Maurern hinaufbringen. Besonders in den Bauboom-Jahren vor der Jahrhundertwende sind die Mörtelweiber in ihren dicken, unförmigen und langen Röcken, ihren kalkzerfressenen Blusen und den straff gebundenen Kopftüchern, aus dem Münchner Stadtbild nicht wegzudenken. Den robusten und anspruchslosen Frauen und Mädchen, die für Hungerlöhne Fronarbeit leisten, ist der Aufbau Münchens in der Gründerzeit zu verdanken. Der Arbeitstag dieser Frauen beginnt um sechs Uhr früh; dabei befindet sich die Baustelle oft in der entgegengesetzten Richtung, irgendwo in Schwabing oder in Nymphenburg, was erstmals einen - zum Teil - mehrstündigen Fußmarsch - schon vor Arbeitsbeginn - bedeutet. Zur Brotzeit „gönnt“ man sich eine Halbe Bier, ein paar „Maurerloabe und einige Radi“. Mittags gibts einen Krug Bier, mehrere Scheiben Brot und „ein Fünftel warmen Leberkäs’ minderer Sorte“. Das „Nachtessen“ besteht aus Bergen von gerösteten Kartoffeln mit Zwiebeln. |
Bis 1900 München - München-Haidhausen - Perlach * Es gibt nur eine einzige evangelische Gemeinde in München. Danach wird für alle östlich der Isar gelegenen Stadtteile die Kirchengemeinde St. Johannes, mit der Notkirche in der Haidhauser Preysingstraße, gebildet. Auch in Perlach gibt es viele evangelische „Linksrheiner“; doch diese gehören damals noch nicht in den Burgfrieden Münchens. |
1. Januar 1900 Berlin - München * Das Bürgerliche Gesetzbuch - BGB tritt inkraft und schließt eine Neubegründung von Herbergen künftig aus. |
1. November 1900 München-Obergiesing * Der Ostfriedhof wird eingeweiht. Die Baukosten betragen 1.052.510 Mark und sind für damalige Verhältnisse sehr hoch. Die Gräberanlagen werden nach Bedarf angelegt und deren Ausführung erst im Jahr 1912 abgeschlossen. Der 28,43 Hektar große Friedhof wird dann Platz für 34.300 Gräber bieten. Zum ersten Mal in Deutschland werden die Grabdenkmäler und die Grabbepflanzung einem strengen Reglement unterworfen, das gleichzeitig mit der Eröffnung des Friedhofs in Kraft tritt. Der Architekt will dadurch die Gräber einer Sektion in einem Typus halten und die Gleichheit der Menschen vor dem Tod auf dem Friedhof nicht durch prunkvollen und teuren Grabschmuck durchbrechen. Seine Vorbilder sind die Friedhöfe von Glaubensgemeinschaften älterer Zeit und noch intakte Dorffriedhöfe in Oberbayern und Tirol. Ein Zugeständnis an die bürgerliche Oberschicht Münchens schafft der Architekt Hans Grässel allerdings mit den Gruftarkaden in den Umfassungsmauern als traditionelle Grabplätze für das reiche Bürgertum. Interessenten wird allerdings zur Verpflichtung gemacht, „den Grabplatz, sei es durch Aufführung einer Kapelle, sei es durch eine sonstige offene, den ästhetischen Anforderungen entsprechende Überdachung, abzudecken“, um eine einheitliche architektonische Wirkung zu erzielen. Die Pläne mussten zur Baugenehmigung vorgelegt werden. |
1905
1905 München-Obergiesing * Die Stadt wagt einen erneuten Vorstoß für ein „Krematorium“ - wieder ohne Erfolg. |
1906
1906 Ulm * Mit der Errichtung eines „Krematoriums“ in Ulm wird dann meist dieser Zielort gewählt. Der Ulmer Gemeinderat lässt sich die Kosten für ihr „Krematorium“ durch die vielen Aufträge aus München finanzieren. Anschließend wird die zurückgelieferte Urne in einem „Erdgrab“ bestattet. |
1906 München - München-Obergiesing * Das Interesse an der „Feuerbestattung“ ist in München mittlerweile beträchtlich gestiegen, weshalb die Stadt erneut einen Antrag zur Errichtung eines „Krematoriums“ stellt. Schließlich einigt man sich auf einen Kompromiss. Der „Verein für Feuerbestattung“ pachtet von der Stadt München die auf dem „Ostfriedhof“ errichtete „Verbrennungsanlage für Sargbretter und Grabkränze“ und lässt die Anlage auf eigene Kosten zu einer „Leichenverbrennungsanlage“ umbauen. |
25. August 1906 München * Der Steyrer Hans stirbt und wird unter großer Anteilnahme der Münchner Bevölkerung am Ostfriedhof beigesetzt. |
6. Oktober 1906 München-Stadelheim * Ludwig Thoma muss eine sechswöchige Haft in der Vollzugsanstalt Stadelheim antreten. Anlass ist sein Gedicht „An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine“. |
1908
1908 München * Mit dem „Änderungsgesetz der Gewerbeordnung“ verschwinden die „Mörtelweiber“ von den Baustellen, da darin die Verwendung von Arbeiterinnen beim Transport von Materialien aller Art untersagt wird. Bis dahin betrug der „Frauenanteil im Baugewerbe“ knapp 10 Prozent. |
1908 München * Das „katholische Stadtpfarramt“ bekräftigt noch einmal ihre Haltung und verbietet jedem Katholiken die „Feuerbestattung“. |
1909
1909 München-Obergiesing * Der Umbau der „Verbrennungsanlage für Sargbretter und Grabkränze“ ist beendet. Jetzt muss aber noch ein Gutachten abgewartet werden, das die „Geruchsbelästigung für die Anwohner“ prüft. |
1910
Vor 1910 München-Hackenviertel * Der „Hundemarkt“ befindet sich im Hof des „Gasthofs zum Mohrenköpfl“ am „Altheimer Eck“. |
Ab 1910 München-Hackenviertel * Der „Hundemarkt“ ist bis zum Jahr 1922 im „Gasthof Oberottl“ an der Sendlinger Straße untergebracht. |
1912
1912 München-Obergiesing * Die Anlage der Gräber des „Ostfriedhofs” sind abgeschlossen. Der 28,43 Hektar große Friedhof bietet nun Platz für 34.300 Gräber. |
15. Februar 1912 München * Die „SPD-Fraktion des Gemeindebevollmächtigtenkollegiums“ beantragt: „Einen beliebigen Block geeigneter Herbergsanwesen von besonderer Eigenart für die Nachwelt zu erhalten“. |
28. November 1912 München-Obergiesing * Endlich kann das Krematorium am Ostfriedhof in Betrieb genommen werden. Aufgrund einer Genehmigung der bayerischen Staatsregierung wird die eigenständige Entscheidung über die Leichenverbrennung nun den Kommunen überlassen. |
1914
Bis 1914 München-Giesing * Bis zum Ersten Weltkrieg steigt die Zahl der Protestanten in Giesing so sehr an, dass man einen eigenen Kirchenbau plant. |
1918
14. Oktober 1918 München-Obergiesing * Abends, um 20:30 Uhr, kann Kurt Eisner die Haftanstalt Stadelheim verlassen. Er wird auf Entscheidung des 1. Senats des Reichsgerichts Leipzig entlassen, damit er an der am 17. November stattfindenden Reichstagswahl teilnehmen kann. Und das, obwohl sich der Oberreichsanwalt gegen die Entlassung ausgesprochen hatte. In der Begründung zu diesem Gerichtsbeschluss wird aufgeführt, dass eine Fluchtgefahr ausgeschlossen sei und eine Verdunkelungsgefahr nicht besteht. |
1919
26. Februar 1919 München-Giesing * Zeugten schon die Geschehnisse am Ort des Attentats von breiter Betroffenheit über Kurt Eisners Tod, so wird sein Begräbnis zu einer außergewöhnlichen Trauerbekundung der Bevölkerung. Der Zentralrat ordnet für ganz Bayern Landestrauer an. Die öffentlichen Gebäude sind auf Halbmast schwarz und rot beflaggt. Die Arbeit ruht. Annähernd 100.000 Menschen nehmen an den Bestattungsfeierlichkeiten teil. Ab 9 Uhr bewegt sich der Trauerzug - begleitet von 20 Musikkapellen - von der Theresienwiese zum Ostfriedhof. Matrosen tragen den mit schwarzen Tüchern verhüllten Sarg. Um 10 Uhr beginnt ein halbstündiges Glockengeläut. Die Trauerfeier mit der Einäscherung in der Halle des Krematoriums beginnt um 10:30 Uhr. Sie dauert bis 11:40 Uhr. Gustav Landauer hält eine Gedächtnisrede, in der er ausführt: „Kurt Eisner, der Jude, war ein Prophet, der unbarmherzig mit den kleinmütigen, erbärmlichen Menschen gerungen hat, weil er die Menschheit liebte und an sie glaubte und sie wollte. Er war ein Prophet, weil er mit den Armen und getretenen fühlte und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen. Er war ein Prophet, weil er ein Erkennender war, dieser Dichter, der zugleich von der Schönheit, die kommen sollte, träumte und den harten, bösen Tatsachen unerschrocken ins Gesicht sah. Er war ein Prophet, und er wurde so zum Satiriker und zum Geißler der Verlogenheit und Verkleisterung, wie er sie zumal bei seinen Kollegen von der Presse fand, er war ein unermüdlicher, trockener Erforscher der Wirklichkeit. So war er, der Schauend-Gestaltend-Erkennende, auch ein Prophet in dem Sinne, dass er die Zukunft voraus sah. Er wollte mit den Menschen gehen, er wollte auf die Menschen wirken, aber nichts lag ihm ferner als Herrschaft oder unterdrückende Überlegenheit.“ Selbst die bürgerliche Presse ist beeindruckt und schreibt: „In ihrer reichen Geschichte hat die bayerische Hauptstadt wohl viele prunkvolle Leichenzüge zu verzeichnen, aber keinen, der, was Massenentfaltung anlangt, denjenigen übertrifft, der am Vorfrühlingstage des 26. Februar halb München in Bewegung setzte.“ |
Um den 2. Mai 1919 München-Giesing * Die Angst und der Hass auf die Giesinger war bei den Nationalsozialisten tief eingebrannt und reichte in die Zeit der Zerschlagung der Räterepublik zurück. Als die Weißen Truppen auf der Tegernseer-Landstraße gegen die Rote Hochburg Giesing vorrücken, postiert die Rote Armee auf dem strategisch günstig gelegenen Turm der Heilig-Kreuz-Kirche ihre Maschinengewehre. |
8. November 1919 München * Aus Anlass des Jahrestages der Revolution beschließen die sozialistischen Betriebsräte eine völlige Arbeitsruhe und Einstellung des Straßenbahnbetriebs. SPD und USPD veranstalten mehrere Festversammlungen. Am Nachmittag dieses ohne jeden Zwischenfall verlaufenden Tages findet am Ostfriedhof eine Totenfeier statt. |
1920
1920 München-Obergiesing * Der „Evangelische Verein für München-Giesing“ wird gegründet. Er tagt im „Cafe-Restaurant Giesing“, der späteren „Bergstube“, dem heutigen „Cafe Giesing“. |
1. Mai 1920 München-Obergiesing * Im Rahmen der „Maifeiern“ wird im „Ostfriedhof“ von den „Münchner Freien Gewerkschaften“ der Grundstein für ein Denkmal für die „Toten der Revolution - 1919“ errichtet. |
1921
Februar 1921 München-Au * Bis zur Fertigstellung der „Martin-Luther-Kirche“ kann auch im Turnsaal der „Kolumbusschule“ der evangelische Sonntagsgottesdienst abgehalten werden. |
1922
1922 München * Der „Lustige Führer durch München“ bezeichnet die „Herbergen“ als „Ein- und Zweifamilienhäuser mit mehr lebendem als totem Inventar. Der Haustürschlüssel wird in der Dachrinne aufbewahrt. |
1922 München-Giesing * Der München-Führer „Rund um die Frauentürme“ beschreibt den „sprichwörtlichen Giesinger“ so: „Hochgelegen, gesunde Luft, gesunde oder auch runde Bevölkerung. In Giesing wohnen viele Arbeiter mit entsprechend ausgeprägtem Klassenbewusstein. Demzufolge sind die Nazis lange Jahre hier völlig chancenlos. |
1922 Berlin - Wien - Giesing * Adolf Hitler sagt: „Den widerwärtigen italienischen Typ - den haben wir auch. Wenn ich denke, Wien-Ottakring, München-Giesing, Berlin-Pankow! Vergleiche ich den unangenehmen südlichen Typ mit dem unangenehmen Typen bei uns, so ist schwer zu sagen, welcher unsympathischer ist“. |
1. Mai 1922 München-Obergiesing * Das Denkmal für die „Toten der Revolution - 1919“ im Ostfriedhof wird feierlich enthüllt.
Eine Bronzeplakette am Sockel erinnerte an Kurt Eisner, dessen Urne man in dem würfelförmigen Denkmal beigesetzt hat. |
1923
1923 Obergiesing - Untergiesing * Ende 1922 häufen sich die „Propagandamärsche“ der politischen Parteien durch Giesing. Rechte, linke und konservativ-katholische Parteien ziehen durch die Straßen und singen ihre Parteilieder. „So habe ich aus einem Lied der Nationalsozialisten gehört: ‚Der Tag der Abrechnung wird kommen‘. |
1925
1925 München-Giesing - München-Haidhausen * Die evangelischen Giesinger trennen sich von „St.-Johannes“ in Haidhausen und gründen die selbstständige „Martin-Luther-Gemeinde“. |
1926
27. Juni 1926 München-Obergiesing * Der Grundstein für die Giesinger Martin-Luther-Kirche wird gelegt. Auf gleicher Höhe sollen sich hier zwei Kirchen einander gegenüberstehen: der katholische Kathedralbau der Heilig-Kreuz-Kirche und die evangelische Martin-Luther-Kirche. Die Kirche steht auf dem Grund des ehemaligen Lehner-Bauerhofs. Ihre bewusste Platzwahl solle die Präsenz der protestantischen Gemeinde in Giesing betonen. |
1927
1927 München-Obergiesing * Trotz der fehlenden kirchlichen Erlaubnis - beauftragte man Hans Grässel im Jahr 1927 mit dem Bau eines „Krematoriums auf dem Ostfriedhof“, das anno 1929 endlich eingeweiht werden konnte. |
1927 Thüringen * Seit dem Jahr 1927 sammeln ehemals bayerische Pfarrer in Thüringen Protestanten, die den „völkischen Enthusiasmus“ an die Stelle des „christlichen Glaubensbekenntnisses“ setzen und in Adolf Hitler den neuen „Heiland und Erlöser“ sehen. |
1. Januar 1927 München-Obergiesing * Die Martin-Luther-Kirche ist fertig zur Einweihung. Natürlich erreichte diese Kirche nicht die Dimensionen der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche, ist aber mit elf Metern Breite und 19 Metern Länge durchaus eine der größeren evangelischen Kirchen Münchens. Auf jeden Fall ist sie die höchstgelegene. Bereits am Tag der Einweihung reichen ihre 800 Plätze nicht mehr aus für die hereindrängenden Giesinger Protestanten. Anders als bei früheren Kirchenbauten ist hier ein Zentrum mit Kirche und großem Pfarrhaus entstanden. Trotz der hohen Kosten von 971.225 Mark kann man die Kirche noch mit reichem Bauschmuck und einer Orgel ausstatten. Außen, auf der Bronzetür des Hauptportals, sind die wichtigsten der 95 Thesen Luthers zu lesen; rechts und links davon stehen die Figuren der vier Evangelisten und der vier großen Propheten. Das Innere der Kirche ist mit Gemälden ausgestattet, die alle einem theologischen oder geschichtlichen Programm folgen. |
1929
1. Dezember 1929 München - München-Giesing * Kurz vor der Gemeindewahl zieht ein Propaganda-Umzug mit zweitausend SA-Männern fünf Stunden lang durch Münchens Straßen, um sich den Münchner Wählern als dynamische und entschlossene Partei darzustellen. Doch das unsichere Terrain des „Roten Giesing“ meiden sie, wie der Teufel das Weihwasser. |
1930
Ab Ostern 1930 München-Obergiesing * Während der Wirtschaftskrisen wachsen die politischen Unruhen im roten Giesing, sodass mehrmals Gottesdienste in der Martin-Luther-Kirche gegen kommunistische Störer geschützt werden müssen. Der Grund ist, dass viele Giesinger Gemeindemitglieder im Nationalsozialismus den „Retter religiöser Werte“ sehen. |
1933
30. Januar 1933 Berlin * Der Tag der sogenannten Machtübernahme. Adolf Hitler wird vom Reichspräsidenten Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Er leitet eine Koalitionsregierung bestehend aus NSDAP, DNVP und Stahlhelm. |
Nach Februar 1933 München-Obergiesing * An der Ecke Gietl- und Untere Grasstraße, wo heute das „Pfarrzentrum“ steht, befand sich früher die Wirtschaft „Kriegerheim“, in der während der NS-Zeit die „Ortsgruppe Giesing der NSDAP“ untergebracht ist. Hier finden an den Wochenenden zahlreiche Appelle und Kundgebungen von NS-Partei-Organisationen statt. Zuvor dient die Wirtschaft den „Unabhängigen Sozialisten - USPD“ Giesings als Versammlungs- und Vereinslokal. |
Februar 1933 München-Obergiesing * Nach dem Regierungswechsel erscheinen viele Gemeindemitglieder in ihren Partei- beziehungsweise SA-Uniformen zu den evangelischen Gottesdiensten in die Martin-Luther-Kirche. |
Um den 5. Februar 1933 München-Giesing * Giesing gilt den Nazis als ein zu brechendes Symbol der Opposition. Schon eine Woche nach Hitlers Machtergreifung ziehen die braunen SA- und SS-Horden in einem Triumphzug durch die Arbeiterviertel, um sich als Sieger und Träger der Staatsgewalt zu präsentieren. Mit diesem Propagandamarsch durch Giesing und Haidhausen - geschützt durch Polizei und Staatsgewalt - wollen sie ihren Herrschaftsanspruch demonstrieren. |
Nach dem 22. März 1933<p><strong><em>München-Giesing</em></strong> * Die aufgestaute Angst vor den <em>„Roten“</em> hat ein Nachspiel. Die männlichen Erwachsenen ganzer Giesinger Straßenzüge werden verhaftet und ins KZ Dachau gebracht.</p> |
Juni 1933 München * Vor den Kirchenwahlen beginnen die nordisch-völkischen „Deutschen Christen“ auch in Bayern eine großangelegte Werbekampagne. |
22. Juni 1933 München * Der NS-Stadtrat Hans Zölberlein fordert die Entfernung des Grabmals, das Kurt Eisner und dem Gedenken der Toten der Revolution gewidmet ist, da es „ein Ärgernis für jeden guten Deutschen und alten bayerischen Soldaten“ darstellt.
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11. Juli 1933 München * Die Nazi-Stadträte regeln, dass die Asche verstorbener Juden nicht mehr auf christlichen Friedhöfen beigesetzt werden darf. |
22. Juli 1933 Berlin * Noch am Vorabend der Kirchenwahlen macht Hitler in einer Rundfunkrede klar, was die evangelischen Christen zu wählen haben: „Die Kräfte einer lebendigen Bewegung. Diese Kräfte sehe ich in jenem Teil des evangelischen Kirchenvolkes in erster Linie versammelt, die als Deutsche Christen bewusst auf den Boden des NS-Staates getreten sind“. |
23. Juli 1933 München-Obergiesing * Der gewählte Kirchenvorstand der evangelischen Martin-Luther-Kirche besteht zu fünfzig Prozent aus NS-Parteigenossen. Der Münchner Dekan sagt: „Dass der Wunsch geherrscht hat, es möchten in unseren Kirchenvorständen besonders auch solche Männer Platz finden, die in der deutschen Freiheitsbewegung an hervorragender Stelle stehen - das war allen verständlich. Wir brauchen diese Männer in der kirchlichen Arbeit“. Hauptsache ist, dass die Gottlosen-Propaganda ihr Ende findet. |
11. September 1933 München * Der NS-Stadtrat Hans Zölberlein beantragt
Der Münchner Stadtrat schreibt daraufhin einen Wettbewerb für eine „Erinnerungsstätte zum Gedenken an die Befreiung Münchens 1919“ aus. Diese soll am Ostrand der Ramersdorfer Muster-Siedlung aufgestellt werden und die über Ramersdorf ankommenden Autobahnbenutzer begrüßen. Doch der für Ramersdorf geplante „Autofahrerschreck“ kommt nicht zur Aufstellung, dafür wird Giesing - aufgrund seiner „linken“ Vergangenheit - vom Nazi-Stadtrat als Standort für ein Freikorps-Denkmal auserkoren. |
1934
Ab 1934 München-Obergiesing * Mit der „Martin-Luther-Kirche“ ist die Gefängnisseelsorge im Gefängnis „Stadelheim“ verbunden. Da die Zahl der Hinrichtungen ständig ansteigt, muss Pfarrer Alt zweimal in der Woche den Verurteilten tröstend beistehen, darunter auch den Geschwistern Scholl. |
1937
1. Mai 1937 München * Der „Scharfrichter“ Johann Reichhart wird Mitglied der NSDAP. |
1942
3. Mai 1942 München-Obergiesing * Das „Freikorps-Denkmal“, ein zehn Meter hohes monumentales Monstrum, wird an der Westseite der Ichoschule enthüllt. Es zeigt einen nackten Freikorpssoldaten, der der „Schlange der Revolution“ den Kopf zerquetscht. Enttäuscht müssen die Machthaber feststellen, dass nur wenige Giesinger an der feierlichen Enthüllung dieses „Nackerten Lackls” oder „Schlangenkopfquetschers” teilnehmen. |
1943
7. September 1943 München-Obergiesing * Die Bomben des Zweiten Weltkriegs vernichteten die Obergiesinger Martin-Luther-Kirche bis auf den Turm und die Außenmauern. |
1944
April 1944 München-Obergiesing * Die „Heilig-Kreuz-Kirche“ wird bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Drei Jahre lang steht der Dachstuhl offen und wird danach nur provisorisch wieder aufgebaut. |
1945
Nach Mai 1945 München-Obergiesing * Nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert sich im Obergiesinger Gasthaus „Schweizer Wirt“ der „Hundemarkt“, auf dem nicht nur die Hunde ihren Besitzer wechseln, sondern auch illegal arbeitende Hundemetzger ihre Opfer erstehen. Im geräumigen, viereckigen Hof der Wirtschaft gibt es Hunde aller Größen und Rassen. Trotz des warnenden Schildes „Annähern und Füttern der Hunde verboten, die Vereinsleitung übernimmt keine Haftung“, wird jedes lebende Ausstellungsstück gestreichelt. Jeden Samstag, zwischen 13 und 16 Uhr, herrscht hier ein ohrenzerreißendes Gekläffe und Gewinsel. Veranstalter ist der „Verein Hundebörse“, der das Geschäft bereits seit dem Jahr 1898 betreibt. |
8. Mai 1945 Deutschland * Der Tag der bedingungslosen Kapitulation oder Tag der Befreiung vom Nazi-Terror. Der Zweite Weltkrieg ist für Deutschland verloren. |
1946
17. Oktober 1946 München-Obergiesing * In aller Frühe fahren Lastwagen der US-Armee am Krematorium des Ostfriedhofes vor. Ihre Fracht besteht aus zwölf Särgen, von denen zwei leer sind. Angeblich befinden sich darin die Leichen von zwölf in einem Krankenhaus verstorbenen US-Soldaten, die nun unter der Aufsicht von Offizieren eingeäschert werden sollen. Tatsächlich enthalten die Särge die Leichen von neun in Nürnberg am Tag zuvor hingerichteten Hauptkriegsverbrechern: Es sind dies:
Der zehnte Tote ist der Reichsmarschall Hermann Göring, der sich am 15. Oktober 1946 seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen hatte. In der Amtssprache hieß das: „Die Leiche Hermann Wilhelm Görings ist zusammen mit den Leichen der Kriegsverbrecher, die gemäß dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes am 16. Oktober in Nürnberg hingerichtet worden sind, verbrannt und die Asche im geheimen in alle Winde verstreut worden.“ |
1948
1948 München-Obergiesing * Nach dem Weltkrieg wird das „Freikorps-Denkmal“ von Unbekannten sang- und klanglos abgebrochen und wahrscheinlich zerstört. |
1951
1951 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Das „Gesetz über das Wohnungseigentum“ ermöglicht den Wunsch nach einer „dinglichen Sicherung von Wohnräumen für den Wohnungsinhaber“. Damit besteht erneut die Möglichkeit der Teilung von Gebäuden in „Brucheigentum“. |
1955
Um 1955 München-Obergiesing * Der Giesinger Bildhauer Konstantin Frick erschafft im „Ostfriedhof“ eine naturgetreue Kopie des Denkmals für die „Toten der Revolution - 1919“. |
1955 Rom-Vatikan * Papst Pius XII. bestimmt den 1. Mai als Festtag „Joseph der Arbeiter“ und gibt damit dem „Tag der Arbeit“ seine christliche Weihe. |
1960
30. Juli 1960 München-Obergiesing - München-Bogenhausen * Liesl Karlstadt wird unter größter Anteilnahme der Münchner Bevölkerung am Ostfriedhof ausgesegnet. Ihr Grab befindet sich auf dem Bogenhausener Prominentenfriedhof. |
1962
Bis 1962 München-Obergiesing * An der Stelle des ehemaligen Kaufhauses „Karstadt“, heute „Woolworth“, an der Tegernseer-Land-Straße befindet sich der „Schweizer Wirt“. In der Wirtschaft findet die „Giesinger Kirta“ statt. |
1964
1964 München * Die katholische Kirche gibt den Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft das Einverständnis für die „Feuerbestattung“. |
1971
4. Dezember 1971 München-Obergiesing * An der Martin- Luther-Straße 26 eröffnet McDonalds seine erste deutsche Filiale. Dass die US-amerikanische Fleischpflanzl-Braterei gerade in Giesing ihr erstes Lokal eröffnet, liegt an der Nähe des Stadions an der Grünwalder Straße und der leichten Erreichbarkeit mit dem Auto. Einen sicheren Kundenstamm hat man zudem mit den zahlreichen Amerikanern, die im Südosten Münchens ihre Militär- und Wohnanlagen unterhalten und in McDonalds ein Stück Zuhause vorfinden. Das anfängliche Angebot umfasst Hamburger, Cheeseburger, Pommes Frites, Cola, Limo und Kaffee. Ein Hamburger kostet 95 Pfennige. Die Käsescheiben werden noch mit der Hand vom Block geschnitten, die Kartoffeln für die Pommes ebenfalls von Hand geschält und geschnitten. Der schlagartig einsetzende Erfolg gibt den Marktstrategen mit ihrer Standortwahl Deutschland recht: Bereits im ersten Monat beträgt der Umsatz des Lokals 110.000 DMark. Diese typisch amerikanische Esskultur erfährt Ablehnung von konservativen wie auch linksintellektuellen Kreisen, die ihren emotionalen Anti-Amerikanismus an McDonalds festmachen. Die Firma wird als vermeintlich kurzlebige Modeerscheinung belächelt und als Unkultur verdammt. |
1972
26. April 1972 München - München-Obergiesing * Der Scharfrichter Johann Reichhart stirbt. Sein Grab befindet sich auf dem Münchner Ostfriedhof. |
1982
1982 München-Obergiesing * Die Häuser der „Feldmüller-Siedlung“ werden als denkmalgeschütztes Ensemble erfasst und aufgenommen. Diese Maßnahme ist die Rettung in letzter Minute, denn es hatten sich bereits einige Betonklötze, darunter das Kaufhaus „kepa“, später „Karstadt“, als Fremdkörper in die Arbeitersiedlung eingenistet. Bei der „Feldmüller-Siedlung“ handelt es sich nicht nur um ein „Ensemble“ von interessanter städtebaulicher und siedlungsgeschichtlicher Besonderheit, sondern auch um eines von großer sozialgeschichtlicher Bedeutung. Die ungewöhnlich frühe Arbeitersiedlung im Vorstadtbereich ist zu ihrem Entstehungszeitpunkt äußerst „modern“ und „fortschrittlich“ und dokumentiert den sozialen Aufstieg von Tagelöhnern, die sich aus ihren bescheidenen Zimmerunterkünften in den Herbergshäusern ins Kleineigentum heraufgearbeitet haben. Bebaut werden die Grundstücke mit erdgeschossigen Satteldachhäusern, in biedermeierlicher Traufenstellung an die vorderste Baulinie gerückt und zusammengefasst zu Zwei- und Dreispännern. Heute ist die „Feldmüller-Siedlung“ die größte und bestandsmäßig am besten überlieferte Vorstadtsiedlung Münchens aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. |
1988
1988 München-Obergiesing * Eine umfassende Generalsanierung der Heilig-Kreuz-Kirche beginnt. Sie wird erst 27 Jahre später [November 2015] abgeschlossen sein. |
1989
1. Mai 1989 München-Obergiesing * Der im „Ostfriedhof“ befindliche Gedenksteins in Würfelform stellt das Denkmal für die „Toten der Revolution - 1919“ dar. Es trägt nun am Sockel auch wieder den Vers von Ernst Toller, auf den nach der Wiederherstellung in den 1950er Jahren zunächst verzichtet worden war. Er heißt: „Wer die Pfade bereitet, stirbt an der Schwelle, doch es neigt sich vor ihm in Ehrfurcht der Tod“. |
1997
1997 München-Obergiesing * Der kleine Dachreiterturm auf der „Heilig-Kreuz-Kirche“ wird neu hochgezogen. Er beherbergt eine Bronzeglocke, die in einem Stahlglockenstuhl aufgehängt ist. |
1999
1999 München-Obergiesing * Die „Totengräber vom Ostfriedhof“ erlangen Kultstatus. Als „Boandlkramer-Connection“ singen sie täglich in der „Shitparade“ von „Radio Gong“ das Lied „Drei weiße Tauben und ein Gewehr, drei weiße Tauben, die scheißen nicht mehr. Guru, guru“. Als einem Hörer dieser Erfolg zu viel wird, verspricht er für jede Gegenstimme ein Weißbier. Als die „Totengräber“ im September 1999 ein falsches Grab ausheben, kommt es zum Karriereknick, da der „Leiter der Friedhofsverwaltung“ den „Boandlkramern“ ein Singverbot erteilt. Doch nun gehen die „Radio Gong“-Hörer auf die Barrikaden. Bald werden die Bestatter und Aufbahrer durch die ganze Bundesrepublik gereicht. |
2000
Februar 2000 München-Obergiesing * Die erste CD der „Boandlkramer-Connection“ erscheint. Die Musikscheibe der „Totengräber vom Ostfriedhof“ enthält unter anderem den Titel: „Buam, Buam, Buam“. |
2001
2001 München-Obergiesing * Einige Häuser der „Feldmüller-Siedlung“ werden in das „Herbergen-Programm“ aufgenommen und können damit der Sanierung zugeführt werden. |
Dezember 2001 Deutschland * In Deutschland gibt es 1.100 „McDonald‘s-Restaurants“, in denen täglich zwei Millionen Menschen essen, der Jahresumsatz liegt bei 2,3 Milliarden Euro. Damit ist die „Big-Mac-Kette“ der Marktführer in Deutschland. |
2006
2006 München-Untergiesing * Die Garagenbrauer im „Giesinger Bierlaboratorium“ in der Birkenau 5 machen aus einem Hobby ihren Beruf. Sie beginnen mit einer 100-Hektoliter-Anlage. |
2006 München-Untergiesing * In der „Giesinger Brauerei“ wird erweitert und die Kapazität durch eine 1.000-Hektoliter-Anlage ersetzt. Das ist der offizielle Beginn der kleinen Münchner Privatbrauerei, die damit zur „zweitgrößten Privatbrauerei Münchens“ aufsteigt - gleich nach der „Augustiner Brauerei“ mit cirka 1,1 Millionen Hektolitern. |
2011
16. Januar 2011 München-Obergiesing * Nach dem vorerst letzten Gottesdienst in der Heilig-Kreuz-Kirche in Obergiesing finden die Gottesdienste in der Kapelle des Altenheims Sankt Alfons am Bergsteig statt. |
2012
6. Dezember 2012 München-Obergiesing * Mit dem ersten Spatenstich beginnt der Ausbau des neuen Braubetriebs für den Giesinger Bräu in der Martin-Luther-Straße 2, direkt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche. Obwohl der Giesinger Bräu sein Bier nur regional vertreibt, ist die Nachfrage ist in den letzten drei Jahren kontinuierlich gestiegen. Damit ist das Produktionsvolumen in der Birkenau 5 vollständig ausgeschöpft. Außerdem gibt es keine Anfahrtsmöglichkeiten für die Kunden, die das Bier meist direkt in der Brauerei kaufen. Auch die Lkw, die das Malz liefern, tun sich beim Rangieren in dem Wohngebiet schwer. Deshalb haben sich die Brauer um ihren Geschäftsführer Steffen Marx für den Umzug entschieden. |
2013
1. April 2013 München-Untergiesing - München-Theresienwiese * Die Giesinger Brauerei will auf die Oide Wiesn. Die kleine Münchner Privatbrauerei stellt auf einer Pressekonferenzpläne ihre Wiesn-Hütte vor. Ein Super-Aprilscherz!!! |
2014
6. November 2014 Obergiesing * Der Brauereibetrieb im Giesinger Bräu in der Martin-Luther-Straße 2, direkt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche, nimmt seine Tätigkeit auf. Die Giesinger Brauer schreiben mit dem Bauvorhaben ein Stück Münchner Biergeschichte. Am neuen Standort kann die Kapazität bereits in der ersten Ausbaustufe auf 5.000 Hektoliter pro Jahr gesteigert werden. Das Gebäude gehört den Stadtwerken, die Brauer ziehen als Mieter ein. 2,8 Millionen Euro investierte der Giesinger Bräu in sein neues Brauhaus. Das neue Brauhaus samt Bierstüberl und Freischankfläche breitet sich auf einer Fläche von 600 Quadratmetern aus. Die Gäste im 60 Plätze fassenden Bräustüberl können durch ein riesiges Panoramafenster in die Brauerei und die Flaschenabfüllanlage schauen. In zwei weiteren Schritten soll danach die Braukapazität auf bis zu 13.000 Hektoliter jährlich erhöht werden. Eine erhöhte Freischankfläche, sowie eine Rampe, über die Lkw Malz liefern und das Bier für die Getränkemärkte abholen können, ergänzen den Braubetrieb. Am neuen Ort ist genügend Platz für Fassbier. Bisher füllte die Brauerei ihr Bier vor allem in Flaschen ab. |
2015
Bis 2015 München-Obergiesing - München-Au * Die „Giesinger Brauerei“ will ein fester Bestandteil der „Auer Dult“ werden und gleichzeitig ihren Marktanteil in München auf ein halbes Prozent ausbauen. Das hört sich im ersten Moment nach wenig an, ist aber in einer Stadt wie München ein beachtlicher Beitrag. |
14. Februar 2015 München-Untergiesing * Mit einem Fest „auf dem Bierkeller“ feiert der „Giesinger Bräu“ seinen Abschied von seinem Stammsitz in der Untergiesinger Birkenau. Im Jahr 2006 mietete „Geschäftsführer“ Steffen Marx dort eine Doppelgarage und richtete eine Brauerei samt Bierkeller ein. Die alten Anlagen sind abgebaut und verkauft. Seit November 2014 wird das Bier des „Giesinger Bräu“ im ehemaligen Umspannwerk in der Martin-Luther-Straße gebraut und verkauft. |
2017
12. Februar 2017 München-Obergiesing * Aus Anlass des 500. Jahrestages der Reformation bringt die Giesinger Brauerei einen dunklen Doppelbock auf den Markt - den „Innovator“ - und veranstaltet an diesem Tag ein Starkbierfest. Das Etikett der Bierflasche ziert ein Bild der evangelischen Martin-Luther-Kirche. „Schismator“ wäre ganz sicher die treffendere Bezeichnung für das Starkbier gewesen. |
2021
21. Oktober 2021 München-Moosach * Am Westfriedhof wird in München erstmals ein Verstorbener allein im Tuch zur ewigen Ruhe gebettet. Damit das nach den Regeln des Ritus und der hygienischen Verordnungen klappt, übt das Münchner Friedhofspersonal seit Monaten den selbst konzipierten Ablauf mit einer 1,75 Meter großen und 80 Kilo schweren Puppe. |
2022
18. November 2022<p><strong><em>München-Giesing</em></strong> * Es wird bekannt, dass sich einer der bis zum 2. Dezember in Gewahrsam genommenen männlichen Klimaaktivisten in der JVA Stadelheim im Hungerstreik befindet. </p> |